Z Geburtshilfe Neonatol 2014; 218(6): 269-270
DOI: 10.1055/s-0034-1397403
Perinatalmedizin in Bildern
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neonatale Stoffwechselentgleisung – Hyperventilation bei Hyperammoniämie

T. M. Kehl
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
,
K. Tsiakas
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
,
C. Mühlhausen
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
,
R. Santer
1   Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
,
C. Walter
2   Abteilung Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Altonaer Kinderkrankenhaus, Hamburg
,
A. von der Wense
2   Abteilung Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Altonaer Kinderkrankenhaus, Hamburg
,
D. Singer
3   Sektion Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Eppendorf, Hamburg
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Publication History

Publication Date:
17 December 2014 (online)

Fallpräsentation

Reifes weibliches Neugeborenes (38 + 3 SSW) nicht konsanguiner afghanischer Eltern, Spontangeburt aus Schädellage. Symmetrische intrauterine Wachstumsretardierung, Geburtsgewicht 2190 g (< 3. Perz.), Länge 42 cm (< 3. Perz.), Kopfumfang: 32 cm (3. Perz.), serologisch kein Anhalt für konnatale Virusinfektion. Postnatal gute Adaptation (APGAR 9/10/10), jedoch transitorische Hypoglykämie (Blutzucker minimal 37 mg / dl). Der orale Kostaufbau gestaltete sich in Folge problemlos, sodass die begonnene Infusionstherapie zügig beendet werden konnte. Am 9. Lebenstag wiederholtes Erbrechen bei unauffälligem Abdomen; zunehmend schläfrig und muskelhypoton mit gleichzeitig deutlichem Fäusteln und Überstreckungsneigung bei erhaltenen Neugeborenen-Reflexen. Trotz fehlender Entzündungsparameter Beginn einer antibiotischen Therapie mit Ampicillin und Tobramycin unter V. a. Late Onset Sepsis. Unauffälliges Stoffwechselscreening, jedoch Nachweis eines deutlich erhöhten Ammoniakspiegels (479 µmol / l), daher Verlegung in unser Zentrum.

Bei Aufnahme fiel neben der ausgeprägten Schläfrigkeit eine „große“, beschleunigte und vertiefte Atmung auf. In der Blutgas- und Säure-Basen-Analyse zeigte sich eine ausgeprägte Alkalose mit einem pH von 7,54 und einem pCO2 von 16,4 mmHg bei einem Base Excess von -6,2 mmol / l; es handelte sich demnach nicht um die zunächst vermutete sekundäre Hyperventilation bei primärer metabolischer Azidose, sondern vielmehr um eine primäre respiratorische Alkalose mit nur geringfügiger (sekundärer oder begleitender) metabolischer Azidose. Im Verlauf verbesserte sich die offensichtlich zentrale Hyperventilation in dem Maße, in dem es gelang, den Ammoniakspiegel zu senken ( [Abb. 1]).

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Abb. 1 Verlauf des Ammoniakspiegels und der Säure-Basen-Parameter pH, pCO2 und Base Excess (BE) im Laufe des Aufenthaltes. Man erkennt die ausgeprägte, primäre respiratorische Alkalose (mit nur geringfügig erniedrigtem Base Excess), die in dem Maße nachlässt, in dem der anfangs deutlich erhöhte Ammoniakspiegel abfällt.

Aufgrund der Hyperammoniämie erfolgte initial eine Restriktion der Proteinzufuhr, eine „anabolisierende“ Glukoseinfusion sowie eine Behandlung mit Na-Benzoat, L-Arginin und Carglumsäure (Carbaglu®). Unter dieser konservativen Therapie kam es ohne Einsatz der Hämofiltration zu einem raschen Abfall des Ammoniakspiegels, der auch im weiteren Verlauf unter langsam steigender Proteinzufuhr und schrittweisem Absetzen der medikamentösen Behandlung im Normbereich blieb. Nach einem Monat konnte die Patientin unter alleiniger Muttermilchernährung mit einem Gewicht von 2600 g sowie unauffälligen schädelsonographischen und EEG-Befunden nach Hause entlassen werden.

Ätiologisch kamen aufgrund metabolischer Parameter (kein Nachweis von Argininbernstein- oder Orotsäure, keine Citrullinerhöhung) ein CPS (Carbamylphosphat-Synthetase)- oder NAGS (N-Acetylglutamat-Synthetase)-Mangel in Frage, eine mit Einwilligung der Eltern durchgeführte molekulargenetische Diagnostik blieb jedoch bislang ohne Befund. Differentialdiagnostisch muss daher, speziell bei nur mäßig erhöhten Glutaminwerten, an eine transitorische Hyperammoniämie des (hypotrophen) Neugeborenen gedacht werden, wobei ein persistierender Ductus venosus (Arantii) mit „Bypass“ der Leber sonographisch ausgeschlossen wurde.

 
  • Literatur

  • 1 Butterworth RF. Effects of hyperammonaemia on brain function. J Inherit Metab Dis 1998; 21 (Suppl. 01) 6-20
  • 2 Wichser J, Kazemi H. Ammonia and ventilation: site and mechanism of action. Respir Physiol 1974; 20: 393-406
  • 3 Pötzsch S, Rossi R, Marquardt T. Metabolische Erkrankungen. In: Neonatologie: Die Medizin des Früh- und Reifgeborenen. hrsg. von Jorch G, Hübler A. Kap. 18; Thieme; Stuttgart: 2010: S. 411-451
  • 4 Burton BK. Inborn errors of metabolism in infancy: A guide to diagnosis. Pediatrics 1998; 102: 1-9
  • 5 Hudak ML, Jones MD, Brusilow SW. Differentiation of transient hyperammonemia of the newborn and urea cycle enzyme defects by clinical presentation. J pediatr 1985; 107: 712-719
  • 6 Summar ML, Dobbelaire D, Brusilow S et al: Diagnosis, symptoms, frequency and mortality of 260 patients with urea cycle disorders from a 21-year, multicenter study of acute hyperammonaemic episodes. Acta Paediatr 2008; 97: 1420-1425