Z Gastroenterol 2015; 53(3): 246-247
DOI: 10.1055/s-0034-1397611
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Nachruf auf Prof. Dr. Herbert Lochs (1946–2015)

Johann Ockenga
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Matthias Pirlich
,
Mathias Plauth
,
Hartmut Schmidt
,
Herbert Tilg
,
Michael Trauner
Further Information

Publication History

Publication Date:
20 March 2015 (online)

Die deutsche und österreichische Gastroenterologie trauert um Herbert Lochs.

Herbert Lochs, ehemaliger Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Charité Campus Mitte, Berlin, ist am 10. Februar im Alter von 68 Jahren verstorben.

Herbert Lochs (geb. 20. Oktober 1946) wuchs in Innsbruck auf, absolvierte dort im Jahr 1964 seine Matura mit Auszeichnung und studierte anschließend Humanmedizin. Bereits sehr frühzeitig interessierte er sich für eine ganzheitliche Medizin durch seine zutiefst humanistische Prägung. Im pharmakologischen Institut in Innsbruck führte er mit seiner späteren Frau Heide Hörtnagl, heutige renommierte Professorin für Neuropharmakologie, Studien durch, aus denen u. a. 1972 seine erste Publikation über die Charakterisierung Katecholamin-haltiger Vesikel des Nebennierenmarks resultierte.

1973 wechselte er nach Wien als Assistent in die I. Medizinische Klinik der Universität Wien unter Professor Deutsch. Nach Übersiedlung der Universitätsmedizin in das neue Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien war er in der IV. Medizinischen Klinik an der Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie unter Professor Gangl tätig. In diesen Jahren konnte Herbert Lochs seine klinischen und wissenschaftlichen Kenntnisse vertiefen und entwickelte Schwerpunkte zu Themen der klinischen Ernährung und des Stoffwechsels, die nachfolgend gestaltend für diese heutigen Fachgebiete waren und sind. Als Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung (AKE) in Österreich und Veranstalter zahlreicher Fort- und Weiterbildungen öffnete er diese Themen für viele Interessierte.

Im Rahmen eines Max-Kade-Stipendiums führte Herbert Lochs Studien von 1984 bis 1986 an der University of Pittsburgh unter der Leitung von Prof. Adibi zum Glutamin- und Dipeptidstoffwechsel durch. In diese Zeit fällt auch seine Habilitation zum Thema Ernährungstherapie bei Morbus Crohn (1985).

Nach seiner Rückkehr nach Wien etablierte er die Forschungsschwerpunkte Stoffwechsel und Ernährung in der Gastroenterologie. Dies waren Grundsteine für die internationale Entwicklung der universitären Ernährungsmedizin. 1992 war er Präsident des ESPEN-Kongresses in Wien. Am letzten Tag dieser Veranstaltung erhielt er im Rahmen des gastroenterologischen Berufungsverfahrens die Einladung zum Vortrag an die Charité.

1994 nahm er den Ruf der Charité an und übernahm die Position als Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie am Campus Mitte. Dies fiel in die schwierige Zeit der Umstrukturierung der Universitätsmedizin in Berlin mit seinen vier Standorten. Im ältesten noch erhaltenden Gebäude der Charité (1836/1837) leitete er die Geschicke der Klinik bis der Umbau der Medizinischen Klinik vollendet war. Seine Klinik umfasste zu dem Zeitpunkt Forschungsgebäude in der Ziegelstraße, gastroenterologische und endokrinologische Stationen in der Hautklinik, später auch Forschungsflächen in Räumen der ehemaligen Stationen von Prof. Sauerbruch und im Jahr 2001 gegründeten Neurowissenschaftlichen Forschungszentrum. Der Umzug in die renovierte Medizinische Klinik der Charité Campus Mitte folgte 2000. In dieser Zeit wurden u. a. Grundlagen für Leberdialysen bei Leberversagen und photodynamische Therapien bei gastrointestinalen Erkrankungen konzeptionell weiter entwickelt, beispielhaft die Prävalenz der Mangelernährung in deutschen Krankenhäusern evaluiert, intestinale Permeabilität mit genetischen Faktoren untersucht, und die gastrointestinale Barriere als Therapiekonzept bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen weiterverfolgt. Die Weiterentwicklung der Sonografie verfolgte er mit großem Interesse und integrierte Sie in die klinische Versorgung. Bei onkologischen Therapieansätzen sah er eher die Bedeutung in der Stimulation des Immunsystems als in der Chemotherapie. Bei Leberkranken war der Muskelstatus ein entscheidendes Kriterium; er wies deshalb auch sehr frühzeitig darauf hin, dass dies ein Dilemma in der Eiweißrestriktion im Falle einer Enzephalopathie bei Leberzirrhose bedeutete. Ein besonderes Augenmerk richtete er auch auf die Bedeutung der Darmflora – ein Gedanke, der heute seine Bestätigung findet. Seine Versiertheit umfasste die gesamte Breite der Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie. Er etablierte eine Schule für klinische Ernährung an der Charité und gestaltete die Entwicklungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin.

Legendär waren die Visiten. Hieran nahmen Krankenschwestern, Ärzte, Seelsorger, Ernährungsmediziner und Physiotherapeuten teil. Am Patientenbett wurde das gesamte Spektrum der Anamnese, Inspektion, Palpation, Perkussion und Auskultation praktiziert mit dem Ziel in Abwägung aller Beschwerden und Symptome die beste personalisierte Therapiestrategie zu entwickeln. Dies konnte auch selbst für Erfahrenere in Fortbildungen, aber auch Belehrungen münden. Jede Visite wurde abgerundet im Rahmen eines gemeinsamen Gesprächs bei Brötchen und Kaffee. Damit trotzte er allen Beschleunigungsfaktoren der DRG-getriebenen Abläufe in einem Krankenhaus. Auch Termine konnten sich durchaus im Rahmen der im Vordergrund stehenden Patientenversorgung verschieben.

Zu den Herausforderungen an der Charité gehörte auch die Integration renommierter Mediziner als auch die Förderung des Nachwuchses. Vielleicht konnte er nicht alle seine Ziele erreichen, trotzdem war er der Zeit voraus. So schlug er z. B. vor, Schwerpunktfunktionen in der Gastroenterologie an den Campi der Charité gemeinschaftlich zu gestalten. Sein Charakter als Österreicher in der deutschen Gastroenterologieszene war nicht geprägt durch Macht- oder Eigeninteresse und oftmals fungierte er als Bindeglied zwischen der österreichischen und deutschen gastroenterologischen Szene. Er war ein leidenschaftlicher Arzt und sah seine Mission darin, sich als Dienstleister dieser Aufgabe zu unterstellen. Seinen Mitarbeitern bot er Freiräume sich zu entwickeln. Harmonie und sein Interesse an seinen Mitmenschen waren ihm wichtig. Durch seine herzliche Persönlichkeit brachte er Wärme in die deutsche akademische Medizin. Die jährlich stattfindende Weihnachtsvorlesung an der Charité war Ausdruck seiner weitumfassenden Weltanschauung. Sinnliche Themen in der Medizin wurden in diesem Rahmen kritisch in der Adventszeit diskutiert. Politiker, Philosophen, Theologen, Medizinethiker wurden hierzu eingeladen.

2009 übernahm Herbert Lochs die Position des Rektors an der Medizinischen Universität Innsbruck. So bedeutsam diese neue Position war, so schwer muss es ihm als beseeltem Kliniker gefallen sein. In diesen Jahren erfuhr er die vielfältigen Herausforderungen in der wandelnden Universitätsmedizin mit all seinen unterschiedlichen Einflußfaktoren. Es gelang ihm in dieser Funktion wichtige klinische Akzente zu setzen, u. a. mit der Neustrukturierung der Inneren Medizin und Pädiatrie.

Literatur, Theater, Kunst, Musik, aber auch Skifahren, Rodeln und Bergsteigen gehörten ebenfalls zu seinem Leben. Er engagierte sich für humanistische Projekte. Nach seiner Pensionierung begann er ein Studium der Philosophie und Theologie und folgte damit seiner Neigung, mehr erfahren zu wollen über die Hintergründe des Menschseins, das Eingebundensein in einen großen, umfassenden und nicht allein naturwissenschaftlich erfahrbaren Zusammenhang. Er war auch auf diesen Gebieten ein mit unersättlicher Neugier und ungewöhnlichen Detailkenntnissen ausgestatteter Diskussionspartner, der seinen Charme nutzte, um unterschiedlichste Menschen zu fröhlichen Festen und tiefgehenden Gesprächen zusammenzubringen. Sein offener Umgang mit Problemsituationen selbst in der Phase seiner schweren Erkrankung war zutiefst beeindruckend.

Die Österreichische und Deutsche Fachgesellschaft für Gastroenterologie verliert mit Herbert Lochs eine herzliche akademische Persönlichkeit, die durch ihr Wirken die Gastroenterologie gestaltete und prägte. Seine wissenschaftliche Neugier und sein humanistisches Wirken als Arzt hinterlässt er uns zur Orientierung in einer sich schnell wandelnden Universitätsmedizin. Die DGVS und die ÖGGH trauern um einen liebenswerten Menschen und leidenschaftlichen Kollegen, den wir in ehrender Erinnerung behalten werden.

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Herbert Lochs 

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