Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2015; 12(03): 124-125
DOI: 10.1055/s-0034-1397993
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Berlin, 21. Mai 2015 – Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Senologie (DGS) zum Beschlussentwurf des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über eine Änderung der Krebsfrüherkennungs-Richtlinie: Merkblatt und Einladungsschreiben mit Umsetzung von § 630e BGB sowie Widerspruchsrecht zu den Einladungen, Anpassung der Evaluationsvorgaben und Datenflüsse.

Rüdiger Schulz-Wendtland
,
Diethelm Wallwiener
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Publication Date:
03 November 2015 (online)

Wir bedanken uns für die Möglichkeit, eine Stellungnahme abgeben zu können. Unseres Erachtens besteht noch dringender Überarbeitungsbedarf für das Einladungsschreiben und das Merkblatt:

1. Der Hauptkritikpunkt ist die Wahl der verwendeten Zahlenangaben zu Brustkrebssterblichkeit und Überdiagnosen mit einem Zeitraum von 10 Jahren. Nach Ansicht des IQWiG, wie in der Pressemitteilung mitgeteilt, wären Daten über einen Zeitraum von 20 Jahren aufgrund fehlender Studien eher „geschätzte“ Werte. Wir verstehen diese Begründung, dennoch halten wir es für essentiell und relevant, dass eine Screening berechtigte Frau durch das Merkblatt die möglichen Effekte des Screenings im Kontext ihrer noch zu erwartenden Restlebenszeit versteht, die statistisch gesehen deutlich mehr als 10 und wahrscheinlich auch mehr als 20 Jahre betragen wird (geht man von einer 50-jährigen Frau aus). Dieses ist mit der Angabe eines 10-Jahres-Zeitraums nicht gegeben. Das Mammografie-Screening-Programm ist auf 10 Runden in 20 Jahren ausgelegt und nicht nur auf 5 Runden. Da es gerade beim Mammografie-Screening um Langzeiteffekte und weniger um Kurzzeiteffekte geht, ist der 20-Jahres-Zeitraum für die Patientinneninformation anzusetzen. Nur einen 10-Jahres-Zeitraum darzustellen, könnte auf der Seite der Frauen zu einer Unterschätzung von möglichem Nutzen und ggf. möglichem Schaden führen. Methodisch anzumerken ist, dass Projektionen auf längere Zeiten durchaus üblich sind. Beispiele sind die Ermittlung der (fernen) Lebenserwartung, der Lebenszeitinzidenz für Erkrankungen oder der jetzt übliche Periodenansatz bei Überlebenszeitanalysen.

Sollte es bei dem 10-Jahres-Zeitraum bleiben, sehen wir es dann als unerlässlich an, die unterschiedliche und altersabhängige Mortalitätsreduktion des Mammografie-Screenings von 50-59-jährigen im Vergleich zu 60-69-jährigen Frauen im Merkblatt zu ergänzen. Frauen sollten darüber informiert sein, dass das Risiko an Brustkrebs zu erkranken, mit dem Alter steigt, aber damit auch der positive Effekte der Mortalitätssenkung. Wir empfehlen dazu die Arbeit von Pace et al. 2014 [1], in der eine mittlere Gesamtmortalitätsreduktion durch das Screening von 19 % beschrieben wird. Die Mortalitätsreduktion steigt dabei mit zunehmenden Alter von 15 % für Frauen im 4. Lebensjahrzehnt auf 32 % für Frauen im 6. Lebensjahrzehnt.

2. Auf Seite 3 des Merkblattes wird angegeben, dass etwa zwei Drittel von den 35/1000 zu erwartenden Erkrankten bezogen auf 10 Jahre geheilt werden können. Dazu findet sich keine Angabe einer Quelle und Begründung im Rapid Report. Wir nehmen an, dass diese Daten aus der Erkrankungs- und Sterberisikostatistik des RKI mit der Datenbasis 2010 entnommen worden sind [2]. Dort ist die Altersgruppe für Frauen aber angegeben für 45 Jahre (2,1 %), 55 Jahre (3,2 %) und 65 Jahre (3,7 %), sodass eine Abschätzung für die Screening-Altersgruppe 50–69 eher schwierig ist. Zudem werden die Abschätzungen auf Basis der Daten aus 2010 bereits stark von dem vorübergehenden Inzidenzanstieg durch die Einführung des Screenings beeinflusst. Wir würden zur korrekteren Darstellung daher die Daten des RKI aus 2007/2008 empfehlen, in denen das Erkrankungsrisiko für Frauen mit 50 (2,7 %) und 60 Jahren (4,1 %) dargestellt ist, also der entsprechenden Screening-Altersgruppe entspricht. Zusätzlich stammen diese Daten aus der Zeit am Anfang der Einführung des generellen Screening, was Erkrankungsraten ohne Screening eher entsprechen dürfte [3]. Die Erkrankungsrate würde somit 34 von 1000 Frauen in 10 Jahren betragen. Zusätzlich verdeutlichen diese Zahlen wiederum die wichtige Information an die Zielgruppe, dass sich das Erkrankungsrisiko innerhalb der Screening berechtigten Frauen mit zunehmendem Alter, insbesondere in der Altersentwicklung 50 auf 60 Jahre, noch mal fast verdoppelt. Dies wird unseres Erachtens nach zu wenig im Merkblatt thematisiert.

3. Zusätzlich sollte im Merkblatt ein Hinweis ergänzt werden, dass die erstellten Daten für dieses Merkblatt überwiegend aus Studien stammen, die in den 1960er- bis 1980er-Jahren durchgeführt wurden. Ob die Daten der alten Studien sich auf das heutige Mammografie-Screening übertragen lassen, ist unklar. Man muss sich der Tatsache bewusst sein, dass sich zum einen die Technik der Mammografie in den letzten 40–50 Jahren offensichtlich deutlich weiterentwickelt und verbessert hat und es zum anderen aber auch in der Therapie des Mammakarzinoms immense Fortschritte gegeben hat. Dies sind wichtige Informationen für eine kritische Auseinandersetzung mit den vorgelegten Daten, die man den Screening berechtigten Frauen nicht vorenthalten darf.

4. Mit dem Aufgeben der Bedeutung einer bevölkerungsbezogenen Teilnahmerate eines Screening zugunsten der informierten Entscheidung für oder gegen das Screening, verliert der bevölkerungsbezogene Effekt eines Screenings seine Bedeutung zugunsten des Effekts für die individuelle Teilnahme. Aus unserer Sicht wird der Effekt der Mortalitätsreduktion im Faltblatt mit den genannten Studien im Rahmen von Intention-to-treat-Analysen auf Basis der eingeladenen Frauen berichtet, d. h. dass in der Screeninggruppe bei Teilnahmeraten von 65–85 % ein großer Teil der ausgewerteten Frauen gar nicht gescreent wurde. Damit ist der berichtete Effekt als konservativer Effekt (Minimaleffekt) zu bezeichnen und so im Merkblatt „als konservative Schätzung“ zu kommunizieren. Idealerweise würden für die Teilnehmerinnen am Screening der Effekt aus der per protocol Analyse berichtet, dieser ist näher am Effekt für die tatsächliche Teilnahme.

5. Weitere kleinere Anmerkungen:

a. Auf Seite 2 des Merkblattes ist die Definition des Screening nicht korrekt und eher missverständlich dargestellt („Screening bedeutet,…“). Wir bitten um Änderung.

b. Bei den Überdiagnosen (Seite 9 des Merkblattes) wäre eine weitere Ausführung wünschenswert, dass wenn ein Tumor (d. h. ein histologisch maligner Befund) diagnostiziert wird, zu diesem Zeitpunkt nicht abgesehen werden kann, ob sich der Tumor aggressiver verhalten wird, bis zum Tode ruhen wird, oder sich sogar zurückbildet. Daher sind alle malignen Befunde auch behandlungsbedürftig.

6. Anmerkung zum Einladungsschreiben: Der Terminvorschlag zur Mammografie ist jetzt auf die zweite Seite des Anschreibens verlagert worden. Die Gefahr, dass dieser Absatz von Frauen, die teilnehmen wollen, übersehen wird, wird als sehr groß angesehen. Wir bitten den Terminvorschlag auf der ersten Seite anzugeben, damit klar ersichtlich ist, dass das Schreiben bereits eine konkrete Einladung enthält.

Die Stellungnahme wurde von Herrn Prof. Dr. Alexander Katalinic, Direktor des Institutes für Sozialmedizin und Epidemiologie der Universität Lübeck, erstellt.

 
  • Literatur

  • 1 Pace LE, Keating NL. A systematic assessment of benefits and risks to guide breast cancer screening decisions. JAMA 2014; 311: 1327-1335
  • 2 Robert Koch-Institut (Hrsg.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (Hrsg.). Krebs in Deutschland 2009/2010. 8. Ausgabe. Berlin: 2013
  • 3 Robert Koch-Institut (Hrsg.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e. V. (Hrsg.). Krebs in Deutschland 2007/2008. 8. Ausgabe. Berlin: 2012