Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(07): 371-372
DOI: 10.1055/s-0035-1553364
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Depressionsbehandlung im Alter

Depression Treatment in Old Age
J. Klosterkötter
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Publication Date:
22 July 2015 (online)

Depressionen gehören nach wie vor zu den großen Volkskrankheiten, die das Leben der Betroffenen und ihrer Bezugspersonen sowie auch das Gesundheitswesen am stärksten belasten. Die diesbezüglichen diagnostischen und therapeutischen Potenziale werden bei Weitem noch nicht so treffsicher und konsequent ausgeschöpft, wie dies beim heutigen Informationsstand möglich und gerade auch im Hinblick auf die große Aufgabe der Suizidprävention erforderlich wäre. Die deutsche Kompetenznetzforschung, die hiesigen Bündnisse und internationalen Allianzen gegen Depression haben viel zur Aufdeckung und Verbesserung dieser Problematik im Erwachsenenalter beigetragen [1]. Man muss aber eben auch noch genauer eine Beziehung zum Lebensalter der Betroffenen herstellen und angesichts einer demographischen Entwicklung, die bei uns in Deutschland zu immer größeren Anteilen älterer und sehr alter Erwachsener in der Bevölkerung führen wird, ganz besonders die Depression im Alter ins Auge fassen. Wenn nämlich über 65- oder gar über 80-Jährige an einer Depression erkranken, ergeben sich altersassoziierte Problemlagen, die genauso wie die diagnostischen und therapeutischen Besonderheiten am Anfang der Lebensspanne in Kindheit, Jugend und Adoleszenz zu berücksichtigen sind.

Depressionen im Alter werden heute noch oft gar nicht als Krankheit, sondern mehr als ein unvermeidliches und nur schwer beeinflussbares Schicksal infolge ungünstiger Lebensumstände angesehen. Insbesondere dann, wenn sie sich wie bei der typischen Altersdepression mit kognitiven Störungen [2] verbinden, droht ein noch weitergehender Verlust an sozialer Kompetenz und Lebensqualität, als er sonst schon bei schweren Depressionsphasen im Erwachsenenalter gegeben ist. Sozialer Rückzug und Selbstvernachlässigung sind die Folge und gehen gerade bei älteren Männern mit einem stark erhöhten Suizidrisiko und insgesamt tatsächlich auch mit einer verkürzten Lebenserwartung einher.

Dieses Negativbild von der Depression im Alter mit ihren fatalen Konsequenzen, das sich Betroffenen, Behandlern und der Öffentlichkeit gleichermaßen eingeprägt hat, kommt nicht von ungefähr. Wer kennt in Klinik und Praxis nicht jene Verläufe, in denen sich uni- oder bipolare Depressionen zunächst im Erwachsenenalter immer wieder zurückbilden und man im Alter dann nach Gründen dafür suchen muss, warum dasselbe Krankheitsgeschehen plötzlich eine Chronifizierungstendenz zeigt. Wem sind nicht die oft ganz erheblichen Schwierigkeiten vertraut, die erstmals im Alter aufgetretene Depressionen bereiten können, wenn man sie ganz eindeutig von der möglichen Vorläufersymptomatik einer demenziellen Erkrankung abheben und die richtige Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie für sie herausfinden will. Gleichwohl wäre es medizinisch und ethisch verfehlt, sich durch solche Vorerfahrungen von der sonst selbstverständlichen Zielsetzung der bestmöglichen und nachhaltigen Depressionsbekämpfung bis hin auch zur Überwindung von Therapieresistenz abhalten zu lassen. Ganz im Gegenteil gilt es, die Depression im Alter sowohl diagnostisch als auch therapeutisch als eine Herausforderung zu begreifen, die allen körperlichen, seelischen und sozialen Besonderheiten des Alterungsprozesses bei dem betroffenen Individuum gerecht zu werden hat.

Im Hinblick auf diese Herausforderungen haben die Fortschritte der Neurologie Psychiatrie in das vorliegende Heft einmal einen Beitrag mit aufgenommen, der sich in Form einer besonderen Art von Literaturübersicht mit der medikamentösen Behandlung der Depressionen im Alter beschäftigt [3]. Die Literatur, für die sich die Autoren im Rahmen größerer Forschungsprojekte interessierten, bestand in den international publizierten Leitlinien und ergänzenden aktuellen Meta-Analysen sowie Reviews, von denen anzunehmen war, dass sie unabhängige evidenz- und konsensbasierte Empfehlungen für die medikamentöse Behandlung depressiver Erkrankungen im Alter enthielten. Diese Quellen werden in der Arbeit sehr viel expliziter als sonst in Übersichten ausgewiesen und methodisch bewertet. Informativ sind neben den generellen Schlussfolgerungen für die Praxis vor allem auch die Verweise auf potenziell im Alter inadäquate Antidepressiva und die derzeit etablierten, aktuell zugänglichen Screening-Tools, aus denen man alle im Alter und insbesondere bei der häufigen Komorbidität in diesem Lebensabschnitt sehr differenziert und gewissenhaft zu beachtenden Neben- und Wechselwirkungen ersehen kann [4].

Natürlich reicht es nicht aus, nur die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten für depressive Erkrankungen im Alter zu kennen. Man muss auch alle in Frage kommenden evidenzbasierten psychotherapeutischen und psychosozialen Maßnahmen überschauen und in einen ebenso sachkundig wie einfühlsam auf die Betroffenen zugeschnittenen Gesamtbehandlungsplan integrieren können [5]. Die Leitlinienrecherche steht bezeichnenderweise im Zusammenhang mit der klinischen Forschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). Depression kann komorbid bei einer Demenz vom Alzheimer-Typ auftreten, sie kann aber auch selber schon der Alzheimer’schen Erkrankung zugehören und ein Prodromalstadium der Demenzentwicklung darstellen und sie scheint schließlich auch, wenn sie sich eigenständig schon im Erwachsenenalter manifestiert, ein Risikofaktor für die Entstehung einer Alzheimer’schen Erkrankung zu sein. Aus diesen und noch anderen Gründen nimmt heute gerade auch die klinische Demenzforschung verstärkt die Depression im Alter als wichtige diagnostische und therapeutische Problematik mit in den Blick. Man kann das nur begrüßen, weil es unser Problembewusstsein schärfen und möglicherweise auch zu besseren Hilfsangeboten für die Betroffenen führen wird.

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Prof. Dr. med. J. Klosterkötter
 
  • Literatur

  • 1 Hegerl U, Mergl R, Doganay G et al. Why has the continuous decline in German suicide rate stopped in 2007. PLoS One 2013; 8: e71589
  • 2 Kessler J, Fengler S, Kaesberg S et al. DemTect 40- und DemTect 80+: Neue Auswertungsroutinen für diese Altersgruppen. Fortschr Neurol Psychiatr 2014; 82: 640-645
  • 3 Heilmann K, Wagner M, Riedel-Heller S et al. Medikamentöse Behandlung der Depression im Alter – Empfehlungen aus Internationalen Leitlinien und aktueller Literatur. Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 381-391
  • 4 O'Mahony D, O'Sullivan D, Byrne S et al. STOPP/START criteria for potentially inappropriate prescribing in older people: version 2. Age Ageing 2015; 44: 213-218
  • 5 Gühne U, Stein J, Scherer M et al. Der Bedarf an Leitlinienempfehlungen für die Behandlung depressiver Menschen im höheren Lebensalter aus Expertensicht. Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 232-237