Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(08): 425-426
DOI: 10.1055/s-0035-1553624
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Neurologie im Kino

Neurology in Cinema
P. Berlit
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Publication Date:
01 September 2015 (online)

Es ist sicher das große Verdienst von Oliver Sacks, dass er neurologische Krankheiten und dabei auch komplexe neurologische Syndrome in seinen Büchern einem breiten Publikum nähergebracht hat. Aktuell ist seine Biografie unter dem Titel „On the Move“ erschienen, in der er sehr offen über seine Erfahrungen mit Medikamenten und Drogen, seine privaten Beziehungen und die berufliche Karriere berichtet [1]. Sein Buch „Awakenings“ über die Behandlung der Enzephalitis lethargica [2] wurde 1990 mit Robert de Niro als Patient und Robin Williams als behandelndem Arzt (Oliver Sacks im Kino) verfilmt – Robert de Niro erhielt für diese Rolle einen Oscar. Fast erscheint es makaber, dass Robin Williams sich womöglich wegen der Diagnose eines Parkinson-Syndroms bei ihm selbst viele Jahre später das Leben genommen hat.

Eine sehr gute Darstellung des beginnenden Parkinson-Syndroms zeigt Christopher Walken in dem Film „A Late Quartet“ aus dem Jahr 2012, in dem außer ihm Philip Seymour Hoffman, der ebenfalls oscarprämierte, inzwischen verstorbene Charakterdarsteller, mitspielt. Das links betonte hypokinetische rigide Parkinson-Syndrom führt dazu, dass der Hauptdarsteller als Cellist trotz dopaminerger Medikation nicht mehr in der Lage ist, den schnellen fünften Satz in Beethovens spätem Streichquartett Opus 131 in C-Moll zu spielen.

Daniel Day-Lewis gewann für seine Darstellung von pseudobulbären und dystonen Symptomen nach frühkindlichem hypoxischem Hirnschaden den Oscar für die Hauptrolle in dem Filmdrama „My Left Foot“ (1989). Ganz offensichtlich ist es so, dass Schauspieler, die neurologische Krankheitsbilder kompetent darstellen, Oscaranwärter sind. Dies gilt auch für Eddie Redmayne, der in dem Film „Die Entdeckung der Unendlichkeit (The Theory of Everything)“ von 2014 Stephen Hawking spielt, der im Alter von 27 mit der Diagnose einer amyotrophen Lateralsklerose (ALS) erkrankte. Der inzwischen 50-jährige Verlauf im wahren Leben zeigt, dass es sich tatsächlich nicht um eine ALS handelt, sondern um eine spinale Muskelatrophie. Auch die Bestsellerverfilmung des Buchs von Mitch Albom „Dienstags bei Morrie“ aus dem Jahr 1999 mit Jack Lemmon in der Hauptrolle beschäftigt sich mit dem Thema ALS. In dem 2014 erschienenen Film „You’re Not You“ mit Hilary Swank in der Hauptrolle geht es ebenfalls um die ALS, wobei die Hauptdarstellerin überwiegend im Rollstuhl sitzt. Leider wird das Sterben in diesem Film als ein furchtbarer Kampf dargestellt – etwas, was unter heutigen Gegebenheiten in aller Regel nicht so sein muss und nicht so ist.

Besonders häufig wird im Kino das Krankheitsbild der Demenz thematisiert – dies gilt nicht nur für Hollywoodproduktionen, sondern auch für den europäischen Film. In dem Film „Iris“ aus dem Jahr 2001 wird die demenzkranke Patientin von Judi Dench dargestellt, in dem Film „Away From Her“ im Jahr 2006 von Julie Christie. In dem jüngeren amerikanischen Film „Fred Won’t Move Out“ aus dem Jahr 2012 geht es um ein älteres Ehepaar, das an Demenz erkrankt, und es wird die Belastung der Kinder durch die Erkrankung thematisiert. Für ihre Darstellung einer an Alzheimer erkrankten Linguistik-Professorin in „Still Alice“ (2014) erhielt Julianne Moore den Oskar für die beste weibliche Hauptrolle bei der diesjährigen Verleihung.

Im europäischen Film spielten Gérard Depardieu in „Small World“ (2010) nach dem Roman von Martin Suter, Klaus Maria Brandauer in „Die Auslöschung“ (2013) und zuletzt Dieter Hallervorden in dem Til-Schweiger-Film „Honig im Kopf“ (2014) Demenzkranke, wobei dieser Film trotz des ernsten Themas ein großer Publikumserfolg war.

Einer der wahrscheinlich besten Filme zum Thema Schlaganfall ist „Amour (Liebe)“ 2012 von Michael Haneke. Es werden die Symptome eines linkshirnigen Schlaganfalls dargestellt, vermutlich begleitet von epileptischen Anfällen in Form eines speech arrest – vor allem aber fokussiert der Film auf die extreme Belastung der engsten Bezugsperson, wenn der Partner hilflos ist und versorgt werden muss.

In dem Film „Am seidenen Faden“ aus dem Jahr 2004 begleitet die Regisseurin Katarina Peters den Musiker Boris Baberkoff, den sie kurz zuvor geheiratet hatte, nachdem dieser im Alter von 33 Jahren einen Hirnstamminfarkt erlitten hatte, auf dem langen Weg der Rehabilitation zurück aus der Behinderung.

Symptome der Multiplen Sklerose mit spastisch ataktischer Gangstörung werden wiederum bei einer Musikerin dargestellt. Basierend auf dem tragischen Schicksal von Jacqueline du Pré, beschäftigt sich der Film „Hilary und Jackie“ aus dem Jahr 1998 mit dem Verhältnis der berühmten Cellistin zu ihrer Schwester. Emily Watson erhielt für ihre Darstellung den Oscar. In dem 2009 erschienenen Spielfilm „Lourdes“ der österreichischen Regisseurin Jessica Hausner wird die Reise einer jungen Frau mit Multipler Sklerose in den Wallfahrtsort im französischen Südwesten dargestellt. Einer der größten Kinoerfolge der letzten Jahre war der französische Film „Ziemlich beste Freunde“ von 2011, in dem Omar Sy einen hochquerschnittsgelähmten betuchten Adligen (François Cluzet) betreut und das ja durchaus sehr ernste Thema so pointiert bearbeitet wird, dass im Kino immer wieder herzhaft gelacht wird und der Besucher positiv gestimmt den Kinosaal verlässt. Natürlich kommen Querschnittslähmungen auch in verschiedenen Kriegsfilmen vor. So spielt beispielsweise Tom Cruise einen Paraplegiker in dem Kriegsfilm „Born on the Fourth of July“ aus dem Jahr 1989.

In dem Buch „Das ist eine alte Krankheit“ über Epilepsie in der Literatur gibt es auch einen von Giovanni Maio verfassten Beitrag über die Darstellung von Epilepsie im Film [3]. Anhand von mehr als 20 Filmen wird gezeigt, dass vor allem in frühen Filmen Krampfanfälle häufig in Verbindung gebracht wurden mit Kriminalität, deviantem Verhalten und Alkoholismus.

In dem berühmten Film „Cleopatra“ aus dem Jahr 1963 spricht Richard Burton als Caesar über seine Angst, womöglich vor dem römischen Volk einen epileptischen Anfall zu erleiden. Neuere deutsche Filme, die sich mit dem Thema Epilepsie auseinandersetzen, sind „Requiem“ (2006) von Hans-Christian Schmid und „Halt auf freier Strecke“ (2011) von Andreas Dresen. In dem US-amerikanischen Film „So lange es noch Hoffnung gibt“ aus dem Jahr 1997 spielt Meryl Streep die Mutter eines epilepsiekranken Kindes, das mittels einer ketogenen Diät behandelt wird. Seit Sibel Kekilli Kommissar Borowski in Kiel unterstützt, beschäftigt sich auch die Tatortreihe in der ARD mit dem Thema Epilepsie.

Aber auch seltenere Erkrankungen werden cineastisch aufbereitet. So beschäftigt sich der Film „Side Effects“ von Steven Soderbergh aus dem Jahr 2013 mit dem Thema medikamenteninduzierter Parasomnien in Form von Schlafwandeln. In diesem Film spielt Rooney Mara die depressive Patientin, die die Nebenwirkungen erleidet; der Psychiater wird von Jude Law dargestellt.

Der Film „Lorenzos Öl“ aus dem Jahr 1993 mit Susan Sarandon und Nick Nolte widmet sich dem Thema der Adrenoleukodystrophie. Die Lepra ist nicht nur ein wichtiges Thema in dem Klassiker „Ben Hur“ aus dem Jahr 1956, sondern auch in dem Hollywoodfilm „The Motorcycle Diarys“ aus dem Jahr 2004, in dem eine Leprakolonie eine zentrale Rolle spielt.

Das Thema der Bewusstlosigkeit und des Komas und des Wiedererwachens nach langer Bewusstlosigkeit spielt in verschiedenen Filmproduktionen eine zentrale Rolle. Neben dem bereits erwähnten Film „Awakenings“ ist „Kill Bill Teil 1“ aus dem Jahr 2003 von Quentin Tarantino zu nennen, in dem die Protagonistin infolge eines Moskitobisses nach einem vierjährigen Koma wieder erwacht. Neurologisch ebenso unwahrscheinlich ist es, dass in dem deutschen Film „Good Bye Lenin!“ aus dem Jahr 2003 die Mutter nach acht Monaten am Ventilator wieder zu sich kommt, als der Sohn die Krankenschwester an ihrem Bett küsst. Und dass eine Patientin mit apallischem Syndrom engelsgleich da liegt und von ihrem Pfleger geschwängert wird, wie in dem Film „Sprich mit ihr (Habla con ella)“ von Pedro Almodóvar aus dem Jahr 2002 ist zwar gänzlich unwahrscheinlich, aber filmisch spannend aufbereitet.

Auch aus neurologischer Sicht sehr gut dargestellt ist hingegen das Locked-in-Syndrom nach einem Schlaganfall in dem Film „Schmetterling und Taucherglocke“ aus dem Jahr 2007, basierend auf dem Buch des früheren Chefredakteurs der Elle. Auch die Themen Sterbehilfe und Einstellen der Versorgung bei schwerer Hirnschädigung nach Schädel-Hirn-Trauma werden im Film behandelt, so beispielsweise in „The Descendants“ (2011). In diesem Heft der Fortschritte setzt sich M. Mindach kritisch mit der Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zum Hirntod auseinander [4]. Dieses in den letzten Monaten wieder intensiv diskutierte Thema des Hirntods wird in den Filmen „21 Gramm“ (2003) und „All About My Mother (Todo sobre mi madre)“ (1999) durchaus differenziert behandelt.

Dass es sich auch für Neurologen lohnt, sich mit der Darstellung neurologischer Erkrankungen im Kino auseinanderzusetzen, zeigt das soeben erschienene Buch des neurologischen Intensivmediziners der Mayo Klinik in Rochester Eelko Wijdicks, der schon seit Längerem Filmkritiken für Neurology Today und Lancet Neurology verfasst. Das Buch „Neurocinema: When Film Meets Neurology“ [5] lohnt sich ebenso zu lesen wie „On the Move: A Life“ von Oliver Sacks.

Auch wenn der Neurologe im Kino oft etwas intellektualisiert und distanziert daherkommt, gibt es doch auch positive Reflexionen. Als die Neurologin in dem Film „A Late Quartet“ aus dem Jahr 2012 bei Christopher Walken die Diagnose des beginnenden Parkinson-Syndroms stellt, klinisch, ohne apparative Hilfsmittel, ist der Patient sichtlich beeindruckt: „Wow!“

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Prof. Dr. med P. Berlit
 
  • Literatur

  • 1 Sacks OW. On the Move: A Life. New York, Toronto: Alfred A. Knopf; 2015
  • 2 Sacks OW. Awakenings. London: Picador; 1982
  • 3 Engelhardt D, Schneble H, Wolf P (Herausgeber) Das ist eine alte Krankheit: Epilepsie in der Literatur. Stuttgart: Schattauer; 2000
  • 4 Mindach M. Der Deutsche Ethikrat und der Hirntod – Einige Anmerkungen aus klinischer Sicht. Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83: 446-450
  • 5 Wijdicks EFM. Neurocinema: When Film Meets Neurology. Boca Raton, London, New York: CRC Press Boca; 2015