Senologie - Zeitschrift für Mammadiagnostik und -therapie 2015; 12(03): 155-156
DOI: 10.1055/s-0035-1553656
Kommentar
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Kommentar zu „Intraoperative Strahlentherapie beim Mammakarzinom mit niederenergetischen Röntgenstrahlen“

Commentary to “Intraoperative radiotherapy with low energy x-rays in early breast cancer”
V. Strnad
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Publication Date:
12 October 2015 (online)

Die Übersichtsarbeit von Sütterlin et al. beschreibt ausführlich die möglichen Einsätze des Intrabeam-Geräts beim Mammakarzinom. Dabei wird suggeriert, dass die intraoperative Strahlentherapie mit Intrabeam sowohl als Tumorbettaufsättigung (Boost) als auch als alleinige adjuvante Strahlentherapie (Teilbrustbestrahlung) und sogar auch als Salvage-Strahlentherapie beim In-Brust-Rezidiv durchaus als Standard oder zumindest als berechtigte Alternative zu anderen Therapiemethoden anzusehen ist. Diese Darstellung – insbesondere im Hinblick auf die aktuelle Datenlage zum Intrabeam-Einsatz als alleinige postoperative Teilbrustbestrahlung oder als Salvage-Strahlentherapie – entspricht nicht wissenschaftlich belegbaren Fakten.

Bei der Beurteilung der Möglichkeiten der intraoperativen Intrabeam-gestützten Teilbrustbestrahlung stützten sich die Autoren auf die Ergebnisse der TARGIT-Studie1. Es handelt sich dabei um eine methodisch mangelhafte Studie, die ein Beispiel dafür ist, wie Studienergebnisse den Vorstellungen angepasst und interpretiert werden können. Vaiada et al. berichten, dass die 5-Jahres-Rezidivwahrscheinlichkeit nach einem Median-Follow-up von 2 Jahren und 5 Monaten bei 3,3 % bei den mit Intrabeam behandelten Patienten und 1,3 % bei konventionell behandelten Patientinnen liegt (p = 0,04) [1]. Da der Unterschied unter der festgelegten Grenze von 2,5 % liegt, resümieren die Autoren, dass die Intrabeam-Behandlung äquivalent der konventionellen Ganzbrust-Bestrahlung sei. Diese Schlussfolgerung stimmt nachdenklich. Man hat den Eindruck, dass die Autoren mit Publikationen und Kongresspräsentationen versuchen eine neue Therapiemethode zu implementieren und das zu rechtfertigen. Gleichzeitig werden viele Fragen offen gelassen und die geführte Argumentation erscheint fragwürdig oder zumindest schwer nachvollziehbar.

Prof. J. Cuzick, einer der renommiertesten Statistiker weltweit und der ursprüngliche Leiter des „Data Monitoring Committee” der TARGIT-Studie, schrieb in Lancet 2014: „The TARGIT-A trial is a good example of trying to make data fit a preexisting hypothesis; there are several major deficiencies in the analysis“ [2]. In ähnlicher Art und Weise äußern sich namhafte Brustkarzinom-Experten in außerordentlich kritischen Stellungnahmen [3] [4] [5] [6] [7].

Im Folgenden sind insbesondere diese Fakten aufzuführen:

  1. Das Kriterium „non-inferiority“ wurde im Gegensatz zu der Behauptung von Vaiada et al. NICHT erfüllt [1]. Um dieses Kriterium zu erfüllen, müsste die obere Grenze des 90 %-Konfidenzintervalls unter der vordeterminierten Grenze von 2,5 % liegen [2] [3] [7]. Eine Bewertung der entsprechenden 5-Jahres-Ergebnisse gemäß diesen Vorgaben zeigt eine signifikante Überlegenheit der konventionellen Strahlentherapie! Und dies bereits bei einem kurzem Follow-up mit einem Median von lediglich 2,5 Jahren. Die berechtigte Befürchtung ist daher, besonders unter Kenntnis der Biologie des Mammakarzinoms, dass die Schere dieses Unterschieds nach einem Median von 5 Jahren (derzeit 2,5 Jahre) weiter auseinandergehen wird.

  2. Eine Non-Inferiority-Analyse ist methodisch falsch, wenn die 5-Jahres-Follow-up-Daten nicht für alle Patienten verfügbar sind [3]! Bei bislang veröffentlichten Analysen des TARGIT-Trials waren die 5-Jahres-Daten bei lediglich 20 % der Patientinnen verfügbar.

  3. Die Autoren präsentieren Tabellen mit Selektionskriterien, bei denen angeblich die Teilbrustbestrahlung mit Intrabeam-Gerät eine sinnvolle Therapie darstellt. Abgesehen von den oben aufgeführten Kritikpunkten rechtfertigen die publizierten Daten diese Selektionskriterien nicht. Die TARGIT-Studie, eine sogenannte „pragmatische Studie“, hat die Patientinnen sehr großzügig und ohne strenge Einschlusskriterien für die Studie rekrutiert. Die Patientinnen- und Tumorcharakteristika sind daher bunt gemischt. In keiner Publikation findet man entsprechende Subanalysen der unterschiedlichen Risikosubgruppen (siehe z. B. GEC-ESTRO-Selektionskriteria [8]). Auch findet man in keiner Publikation entsprechende Ergebnisse der Subgruppe der Patientinnen, die für die Intrabeam-Bestrahlung randomisiert wurden und danach keine anschließende Ganzbrustbestrahlung erhielten – also diejenigen, die ausschließlich eine Teilbrustbestrahlung erhielten.

  4. Der kurze Follow-up (Median 2,5 Jahre) ermöglicht keine korrekte Erfassung von Langzeittoxizitäten. Die Erfahrungen bei der Teilbrustbestrahlung mit anderen Techniken zeigen eindeutig, dass für die Erfassung von Langzeittoxizitäten zumindest 5 Jahre als Follow-up benötigt werden [9] [10]. Auch berichten die Autoren, dass im TARGIT-Trial im Kontrollarm unmittelbar und ohne Latenzzeit nach der Behandlung die Rate von kardiovaskulären Erkrankungen im Vergleich zum „Intrabeam-Arm“ signifikant anstieg (5-Jahres-Risiko 3,5 vs. 1,4 %). Das ist sehr unglaubwürdig, da sekundär strahleninduzierte Morbiditäten und Mortalitäten vor der minimalen Latenzzeit von ca. 10 Jahren bisher nicht erkennbar sind [11] [12]. Die wahrscheinlichste Ursache der beschriebenen kardiovaskularen Erkrankungen ist eher in dem Design der TARGIT-Studie, im Rekrutierungs- und Randomisierungsprozess, zu suchen. Wahrscheinlich wurden die Patientinnen nicht optimal hinsichtlich der Ko-Morbiditäten erfasst und stratifiziert.

  5. Die Ergebnisse einer großen randomisierten Studie können die tägliche Praxis maßgeblich beeinflussen. Aber prominent platzierte Publikationen und aggressive Werbung können und dürfen nicht eine kritische, objektive und wissenschaftliche Analyse bzw. Auseinandersetzung ersetzen!
    Fakt ist, dass der TARGIT-Trial gravierende methodische und analytische Mängel aufweist, die seine wissenschaftliche Aussagekraft tief untergraben und reduzieren [7].

  6. Sütterlin et al. empfehlen, die Intrabeam-gestützte Teilbrustbestrahlung auch in der Rezidivsituation nach vorausgegangener konventioneller Bestrahlung einzusetzen. Dabei stützten sie sich auf die Daten von 17 bzw. 21 Patientinnen (!) mit einem Follow-up von jeweils 3 Jahren und Rezidivraten zwischen 3 und 10 %. Solche Daten berechtigen zu keiner anderen Aussage als „es ist vielleicht machbar“. Über die Effektivität oder Toxizität ist keine Aussage möglich. Darüber hinaus wird von Sütterlin et al. nicht darauf hingewiesen, dass bereits Langzeitdaten zur Salvage-Brachytherapie als Re-Bestrahlung bei großen Patientenkollektiven in der Rezidivsituation von anderen Arbeitsgruppen publiziert wurden [13] und die Autoren über 5-Jahres-Rezidivraten von lediglich 5,6 % berichteten.

 
  • Literatur

  • 1 Vaidya JS, Wenz F, Bulsara M et al. Risk-adapted targeted intraoperative radiotherapy versus whole-breast radiotherapy for breast cancer: 5-year results for local control and overall survival from the TARGIT-A randomised trial. Lancet 2014; 383: 603-613
  • 2 Cuzick J. Radiotherapy for breast cancer, the TARGIT-A trial. Lancet 2014; 383: 1716
  • 3 Haviland JS, A'Hern R, Bentzen SM et al. Radiotherapy for breast cancer, the TARGIT-A trial. Lancet 2014; 383: 1716-1717
  • 4 Harness JK, Silverstein MJ, Wazer DE et al. Radiotherapy for breast cancer, the TARGIT-A trial. Lancet 2014; 383: 1718-1719
  • 5 Yarnold J, Offersen BV, Olivotto I et al. Radiotherapy for breast cancer, the TARGIT-A trial. Lancet 2014; 383: 1717-1718
  • 6 Mackenzie P, Fyles A, Chung C. Radiotherapy for breast cancer, the TARGIT-A trial. Lancet 2014; 383: 1717
  • 7 Hepel J, Wazer DE. A Flawed Study Should Not Define a New Standard of Care. Int J Radiation Oncology, Biology, Physics 2015; 91: 255-257
  • 8 Polgar C, Van Limbergen E, Potter R et al. Patient selection for accelerated partial-breast irradiation (APBI) after breast-conserving surgery: recommendations of the Groupe Europeen de Curietherapie-European Society for Therapeutic Radiology and Oncology (GEC-ESTRO) breast cancer working group based on clinical evidence. Radiother Oncol 2010; 94: 264-273
  • 9 Strnad V, Hildebrandt G, Potter R et al. Accelerated partial breast irradiation: 5-year results of the German-Austrian multicenter phase II trial using interstitial multicatheter brachytherapy alone after breast-conserving surgery. Int J Radiation Oncology, Biology, Physics 2011; 80: 17-24
  • 10 Kaufman SA, DiPetrillo TA, Price LL et al. Long-term outcome and toxicity in a Phase I/II trial using high-dose-rate multicatheter interstitial brachytherapy for T1 / T2 breast cancer. Brachytherapy 2007; 6: 286-292
  • 11 Darby SC, Ewertz M, Hall P. Ischemic heart disease after breast cancer radiotherapy. The New England Journal of Medicine 2013; 368: 2527
  • 12 Clarke M, Collins R, Darby S et al. Effects of radiotherapy and of differences in the extent of surgery for early breast cancer on local recurrence and 15-year survival: an overview of the randomised trials. Lancet 2005; 366: 2087-2106
  • 13 Hannoun-Levi JM, Resch A, Gal J et al. Accelerated partial breast irradiation with interstitial brachytherapy as second conservative treatment for ipsilateral breast tumour recurrence: multicentric study of the GEC-ESTRO Breast Cancer Working Group. Radiother Oncol 2013; 108: 226-231