Suchttherapie 2015; 16 - S_15_01
DOI: 10.1055/s-0035-1557553

Informations- und Kommunikationstechnologienutzung bei Kleinstkindern und ihren Familien

M Dreier 1, K Müller 1, M Beutel 1, K Wölfling 1
  • 1Universitätsmedizin Mainz

Einleitung: In einem Forschungsprojekt in Kooperation mit dem Joint Research Center der Europäischen Kommission und sieben Partnerländern wurden qualitative Daten zum familiären Informations- und Kommunikationstechnologienutzung von Familien mit 0 – 8-jährigen Kindern erhoben.

Methoden: In nicht-klinischen halbstandardisierten Interviews wurden die Kinder altersgerecht interviewt. Dazu wurden Kartenspiele sowie eine Medientour im familiären Lebensraum durchgeführt. Zusätzlich wurden nicht-klinische halbstandardisierte Interviews mit den Eltern durchgeführt, die sich auf Erziehungsstile, Freizeitaktivitäten, verwendete Geräte, den Stellenwert der Technologie in der Familie sowie Risikofaktoren für eine exzessive Nutzung bezogen. Insgesamt konnten N = 119 Kinder zwischen 0 – 8 Lebensjahren aus 70 Familien befragt werden. Die Familien wurden in drei Nutzungsgruppen rekrutiert (geringe, mäßige und starke Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien), um eine Variabilität in der Mediennutzung abzudecken zu können.

Ergebnisse: Die Smartphone- oder Tablet-Nutzung war bei den Kindern sehr beliebt, jedoch ging es dabei nicht um das jeweilige Gerät, sondern eher um den konsumierten Medieninhalt. Im Vergleich zu ihren älteren Geschwistern nahmen die sehr jungen Kinder Informations- und Kommunikationstechnologien als natürlichen Bestandteil ihrer Umwelt wahr und lernten diese durch die Beobachtung ihrer älteren Geschwister oder ihrer Eltern schnell zielgerichtet zu nutzen.

Familiäre Regeln wurden häufig im Haushalt der Großeltern unterwandert oder durch eine unregulierte Nutzung in Frage gestellt. Die elterlichen Regeln zur Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien wurden hauptsächlich gerätspezifisch formuliert. Risiken und Probleme, welche mit der Nutzung vergleichbarer Technologien verbunden waren, blieben den Eltern zunächst verborgen und mussten später durch neue Impulse im Erziehungsstil nachreguliert werden.

Diskussion: Die Notwendigkeit der Förderung kindlicher Selbstregulation insbesondere in Stresssituationen oder Phasen von Langeweile zeigte sich bereits bei dieser sehr jungen Nutzergruppe als immanent. Demzufolge sollte Eltern ein Verständnis darüber vermittelt werden, wie sie ihrem Kind adäquate Selbstregulationsmechanismen beibringen können. Die sich zügig verändernden Inhalte der Informations- und Kommunikationstechnologien sind aus entwicklungsbezogener Perspektive besonders wichtig und gleichermaßen schwierig für Familien. Eine frühe native Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien trägt zur stabilen Etablierung einer gesellschaftlichen Kernkompetenz bei, gleichzeitig ist eine Überforderung von Kindern und Kleinkindern durch unangemessene Nutzungsinhalte und -frequenzen aus entwicklungspsychologischer Sicht sehr kritisch zu betrachten. Der Forderung der APP Kindern unterhalb von zwei Lebensjahren keine Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien zu gestatten, muss anhand der vorliegenden Daten untermauert werden.