Suchttherapie 2015; 16 - S_27_03
DOI: 10.1055/s-0035-1557600

Verringerter modellbasierter Einfluss auf Entscheidungen bei jungen Männern mit häufigem Rauschtrinken

M Smolka 1, S Nebe 1, D Schad 2, M Sebold 2, Q Huys 3, A Heinz 2
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie TU Dresden
  • 2Charité- Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Psychiatrie
  • 3Translational Neuromodeling Unit, ETH Zürich

Einleitung: Modellfreies und modellbasiertes Lernen sowie Entscheidungs-Strategien rücken zunehmend in den Fokus der Suchtforschung. Erste Kontakte mit Drogen finden in der Regel zielgerichtet, willentlich oder „reflektiv“ statt. Dabei werden Assoziation spezifischer Situationen mit Handlungen und deren Konsequenzen gelernt (wodurch ein Modell der Welt aufgebaut wird, daher „modellbasiert“). Durch häufige Wiederholung kann solches Verhalten zunehmend von seinen Konsequenzen abgekoppelt werden und sich zu einer „reflexiven“ Gewohnheit entwickeln, bei der („modellfrei“ gelernte) Reiz-Reaktions-Schemata das Verhalten einer Person ohne Rücksicht auf ihre aktuellen Ziele kontrollieren.

Methoden: Im Rahmen unserer fMRT-Studie wurde bei 201 psychisch und neurologisch gesunden 18-jährigen Männern instrumentelles Lernen und Entscheidungsverhalten mit der 2-Step Task (Daw et al., 2011) untersucht. Dabei mussten sie durch Versuch und Irrtum lernen, welche Entscheidungssequenz am wahrscheinlichsten zu Geldgewinnen führt, wobei die Gewinnwahrscheinlichkeit im Verlauf des Experiments variierte. Mithilfe computationaler Modellierung des Wahlverhaltens der Probanden untersuchten wir das Gleichgewicht zwischen modellfreien und modellbasierten Einflüssen auf ihre Entscheidungen. Außerdem erlaubt unser Vorgehen, Vorhersagefehler von Verstärkern für jeden Durchgang zu berechnen und dessen neurale Korrelate aufzuzeigen. Als Vorhersagefehler bezeichnet man die Abweichung vom erwarteten Ergebnis: Er ist positiv, falls die erhaltene Belohnung höher als erwartet ausfällt und negativ bei unvorhergesehen geringer Belohnung und stellt die Grundlage modellfreien instrumentellen Lernens dar.

Ergebnisse: Wir konnten die Ergebnisse von Daw et al. (2011) replizieren, dass das BOLD-Signal im Striatum während 2-Step Task sowohl mit dem modellfreien Vorhersagefehler als auch darüber hinaus mit einem modellbasierten Einfluss auf dieses Lernsignal assoziiert ist. Vorläufige Ergebnisse unserer Studie zeigen eine negative Korrelation dieses modellbasierten Einflusses mit der Häufigkeit von Rauschtrinken in den vergangenen 12 Monaten. Außerdem zeigt sich im Zusammenhang mit einer von uns entwickelten Testbatterie zur Erfassung impulsiven Wahlverhaltens, dass die neuronale Kodierung des modellfreien Vorhersagefehlers bei impulsiven Probanden schwächer ist.

Diskussion: Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die neuralen Systeme, die modellfreiem und modellbasiertem Lernen zugrunde liegen, überlappen. Weiterhin zeigt sich ein negativer Zusammenhang zwischen der Stärke des modellbasierten Einflusses auf modellfreies Lernen sowohl mit der Häufigkeit von Rauschtrinken als auch mit Impulsivität, einem Risikofaktor für Abhängigkeitserkrankungen, jedoch keinerlei Korrelation mit dem modellfreien Vorhersagefehler selbst. Diese Ergebnisse deuten an, dass der zugrunde liegende Mechanismus beim Übergang von „reflektiver“, modellbasierter zu „reflexiver“, modellfreier Verhaltenskontrolle weniger eine Verstärkung des modellfreien Systems als vermutlich viel mehr eine Abnahme des modellbasierten Systems ist.