Suchttherapie 2015; 16 - S_27_04
DOI: 10.1055/s-0035-1557601

Paradoxe Effekte einer Alkoholinfusion: das Alkoholverlangen steigt während die Präferenz für Alkoholreize sinkt

E Jünger 1, A Javadi 2, C Wiers 3, C Sommer 1, M Smolka 1, U Zimmermann 1
  • 1Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie TU Dresden
  • 2Institute of Behavioural Neuroscience, University College London
  • 3NIAAA, National Institutes og Health, Bethesda, MD, USA

Einleitung: Pawlow'sche Alkoholreize sind ein Bestandteil des Alltags. Bisherige Studien haben gezeigt, dass Menschen mit Alkoholstörungen verstärkt auf Alkoholreize und weniger stark auf nicht mit Alkohol assoziierte Reize reagieren. Inwiefern das mit einem stärkeren Alkoholverlangen zusammenhängt, ist unklar. Wir haben bei gesunden jungen Männern untersucht, inwiefern experimentelle Alkoholverabreichung das Alkoholverlangen im Selbstbericht einerseits und die Präferenz für Alkoholbilder in einem Verhaltensexperiment andererseits beeinflusst.

Methoden: In einem Messwiederholungsdesign wurden 51 gesunde 18-jährige Männer untersucht. An zwei Tagen bearbeiteten die Probanden die gleichen Aufgaben, einmal unter Alkoholinfusion (0,8‰) und einmal während Plazeboinfusion. Dabei erfragten wir das aktuelle Alkoholverlangen vor und während der Infusion. Zusätzlich wurde die Alkoholpräferenz mit der Approach-Avoidance Task (AAT) erhoben. Hier sollten die Probanden 200 Bilder von Getränken (Wasser, alkoholisches Lieblingsgetränk) oder Geld (-2 €, 0 €, +2 €) mit einem Joystick zu sich heranziehen oder wegdrücken, je nachdem ob das Bild im Hoch- oder Querformat präsentiert wurde. Je stärker die Präferenz, umso schneller gelang den Probanden das Heranziehen des Bildes und umso langsamer das Wegdrücken. Darüber hinaus benutzten wir eine Pawlow'sche Konditionierungsaufgabe (PK) als weiteres Maß für die Alkoholpräferenz. Dabei wurde den Probanden zunächst je ein Bild von Getränken (Wasser, alkoholisches Lieblingsgetränk) oder Geld (-2 €, -1 €, 0 €, 1 €, +2 €) gleichzeitig mit jeweils einem abstrakten konditionierten audiovisuellen Reiz präsentiert. Nach 42 von solchen Konditionierungsdurchgängen wurden jeweils 2 audiovisuelle Reize paarweise präsentiert und die Probanden sollten per Tastendruck denjenigen der beiden Reize auswählen, der ihnen besser gefiel.

Ergebnisse: Unter Alkoholinfusion stieg das selbstberichtete Alkoholverlangen stärker an als unter der Plazeboinfusion. Gleichzeitig war die Präferenz für Alkoholbilder unter Alkoholinfusion am geringsten und unter Plazebo am stärksten ausgeprägt. Dies zeigte sich im AAT dadurch, dass die Alkoholbilder unter Alkoholinfusion die niedrigste Annährungstendenz von allen Bildern hatten und unter Plazeboinfusion die stärkste. In der PK wählten die Probanden unter Alkoholinfusion diejenigen audiovisuellen Reize seltener aus, die zuvor zusammen mit Alkoholbildern gepaart wurden, als unter der Plazeboinfusion. Die Alkoholinfusion war ein Mediator für den Zusammenhang zwischen Alkoholverlangen und Annäherungstendenz. Das bedeutet, dass der Zusammenhang zwischen dem Alkoholverlangen und der Präferenz nicht mehr bestand, wenn man für die Infusion kontrollierte.

Diskussion: Bei 18-jährigen Männern reduzierte Alkoholverabreichung die Annäherungstendenz zu Alkoholbildern, verstärkte aber gleichzeitig das selbstberichtete Alkoholverlangen. Darüber hinaus gab es keinen Zusammenhang zwischen beiden Variablen. Das bedeutet, dass weder das Ausmaß des aktuellen Alkoholverlangens, noch dessen alkoholinduzierte Veränderung, die Stärke des tatsächlichen Annäherungsverhaltens an Alkoholreize bestimmt.