Suchttherapie 2015; 16 - P_11
DOI: 10.1055/s-0035-1557705

Stimulation von GABA-A (Diazepam) und GABA-B (Baclofen) Rezeptoren bei Suchtpatient: Intoxikation, Klinik und Behandlung – eine Kasuistik

I Adamovic 1, C Timäus 1, T Klipper 1, U Havemann-Reinecke 1
  • 1Universitätsmedizin Göttingen, Deutschland, Abteilung Psychiatrie

Einleitung: Leggio et al. (2013) postulieren zur Rückfallprophylaxe bei Alkoholabhängigkeit und Angstsymptomatik eine Wirksamkeit von Baclofen über den GABA-B-Rezeptor. Wir beschreiben den Fall eines 28-jährigen Patienten (m) mit vorbestehender Abhängigkeit von Diazepam aber auch Alkohol auf dem Boden einer schweren depressiv-ängstlichen Störung, der jetzt zur Entzugsbehandlung von Baclofen (1 g/Tag) und Diazepam (60 mg/Tag) aufgenommen wurde.

Methoden: Klinische Verlaufsdokumentation, Anwendung validierter Fragebögen (OCDS, Uhrentest, BDI, MADRS, ScL-90-R, MDCL, PSQI), Messung der Medikamenten-Spiegel (Baclofen, Diazepam, Valproinsäure, Quetiapin, Doxepin, Mirtazapin), bildgebende Verfahren (MRT, SPECT), EEG.

Ergebnisse: Der Pat. nahm seit über 2 Jahren regelmäßig Benzodiazepine (Diazepam) und seit ca. 2 Jahren regelmäßig Baclofen ein und erfüllte die Kriterien auch einer Baclofenabhängigkeit nach ICD-10. Aufnahmebefunde: Baclofenspiegel bei 2370 ng/ml (antispastisch therapeutischer Bereich 100 – 600 ng/ml; toxisch: > 1000 ng/ml, tödlicher Bereich ab LD50 = 78 mg/kg(Ratte). Neurologischer Befund: Verlangsamter hypokinetischer Pat., eingeschränktes Bewegungsprofil, kleinschrittiger schlurfender Gang, kein Rigor, aber starker Tremor der Hände, reduzierte Mimik, salbenartiges Gesicht, nach vorne geneigter Oberkörper. Internistischer Befund: o.B. PSPB: ZÖPS orientiert, reduziert in Aufmerksamkeit, formaler Gedankengang verlangsamt, antriebsschwach, psychomotorisch angespannt, getrieben, gedrückte Stimmung, diffuse und soziophobe Ängste, flacher Affekt, kaum schwingungsfähig, ohne Hinweise auf psychotisches Erleben oder Halluzinationen, kein delirantes Syndrom. Vegetativum: Schwitzen, Schlafstörungen. Uhrentest: leichte visuokonstruktiven Defizite. Ausgeprägtes Craving (Visualskala) bezüglich Baclofen und Diazepam. Im Verlauf anticraving Effekte durch Quetiapin und Doxepin. Mirtazapin besserte die Einschlafstörungen. Valproinsäure wirkte stimmungsstabilisierend sowie antikonvulsiv.

Diskussion: Der Pat. zeigte vor allem in der Intoxikation ein ausgeprägtes Parkinsonoid ohne Rigor, durchweg ausgeprägtes craving bezüglich den GABAergen Substanzen Baclofen und Diazepam sowie lang anhaltend Ängste, Antriebsschwäche und depressive Stimmung, ohne Pathologika in MRT, SPECT und EEG. Die trotz therapeutisch hoher Dosen allseits erniedrigten Medikamentenspiegel weisen auf eine CYP unspezifisch gesteigerte hepatische Metabolisierung durch Benzodiazepine hin. Die Rolle des GABA-B und GABA-A-Rezeptors für das Suchtgeschehen, die Psychopathologie sowie die Therapie wird diskutiert.