Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - P1
DOI: 10.1055/s-0036-1571380

„Aber eigentlich kann's ja nicht sein“: Qualitative Interviews mit Frauen, die eine Schwangerschaft verdrängt oder verheimlicht haben

I Lennertz 1, A Bittner 1, J Junge-Hoffmeister 1, K Weidner 1
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychotherapie und Psychosomatik, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Fragestellung: Das paradox anmutende Phänomen einer verdrängten oder verheimlichten Schwangerschaft ist häufiger als angenommen, in Deutschland sind jährlich ca. 1500 Frauen betroffen (Wessel, 2012, Kinzl, 2009). Negierte Schwangerschaften sind mit vielfältigen medizinischen und psychosozialen Risiken verbunden, die im Extremfall zu einem Neonatizid führen können. Trotz dieser gravierenden Risiken ist kaum etwas über die Ursachen bekannt. In einer explorativen, qualitativen Studie werden Frauen untersucht, die bis zur 20. Schwangerschaftswoche oder länger die Schwangerschaft verdrängt oder verheimlicht haben.

Methodik: Semi-strukturiertes Interview zur psychosozialen Lebenssituation, Adult Attachment Interview (Main & Goldwyn, 1998), SKID I, Fragebogen-Diagnostik.

Ergebnisse: Erste Ergebnisse (n = 10) zeigen, dass es sich bei den betroffene Frauen hinsichtlich Alter, Bildungsgrad und demografischer Faktoren um eine heterogene Gruppe handelt. Psychopathologisch zeigen die Frauen entweder subklinische Auffälligkeiten oder es bestehen unbehandelte psychische Erkrankungen. Typischerweise bestand kurz vor Eintritt der Schwangerschaft eine multiple psychosoziale Belastungssituation, auf die die Frauen mehrheitlich jedoch mit einem Versuch „weiter zu funktionieren“ reagierten. Als Abwehrmechanismus steht dabei die Rationalisierung im Vordergrund, wobei die Interviews dafür sprechen, dass die Schwangerschaft vor- und nicht unbewusst war. Nur bei einer Untergruppe ergaben sich Hinweise auf dissoziative Vorgänge. Insgesamt ergibt sich ein Bild des „Nicht-Reagierens“ auf eine eigentlich vorhandene Wahrnehmung aus begründeter Angst vor einer nicht bewältigbaren Überforderung. Entsprechend waren in den biographischen Interviews und den AIs emotionale Vernachlässigung in der Kindheit und unbewältigte Traumatisierungen eruierbar.