Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - A2
DOI: 10.1055/s-0036-1571399

Komplementäre und Integrative Medizin – Inanspruchnahme, Begriffsbestimmung und Anwendung in Forschung und Praxis

B Brinkhaus 1
  • 1Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie; Charité Universitätsmedizin Berlin

In Deutschland nehmen ca. 60% der Bundesbürger Verfahren der Komplementären und integrativen Medizin (KIM) in Anspruch. Allerdings liegen zur Zeit zu wenig wissenschaftliche Erkenntnisse zur Wirksamkeit, Therapiesicherheit und Kosteneffektivität der meisten KIM Verfahren vor. In Deutschland gibt es aktuell insgesamt 6 Professuren, die es sich zum Ziel gesetzt haben, die Verfahren der KIM zu evaluieren und im positiven Fall deren Integration in die aktuelle Medizin zu fördern. In Berlin sind zwei Professuren in dem Bereich der Patientenversorgung (Hochschulambulanzen Naturheilkunde, Tagesklinik und stationäre Versorgung), Lehre und Forschung tätig: Prof. Dr. Andreas Michalsen, Professur für klinische Naturheilkunde und Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Professur für Naturheilkunde. Beide Professuren sind im Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie angesiedelt. Neben dem Projekt Modellvorhaben Akupunktur werden Projekte im Bereich der Gynäkologie des Bereichs Komplementärmedizin dargestellt.

Ergebnisse eines Modellvorhabens Akupunktur, das zwischen 2001 und 2006 stattfand und vom Institut für Sozialmedizin durchgeführt wurde, wurden vorgestellt. In dieses Modellvorhaben wurden 300.000 Patienten mit chronischen Schmerzen und anderen chronischen Erkrankungen (u.a. Dysmenorrhoe) eingeschlossen. Die Ergebnisse zeigen, dass Akupunktur in der Routineversorgung bei allen Indikationen (einschließlich Dysmenorrhoe) ein wirksames und nebenwirkungsarmes Therapieverfahren ist (Witt CM, Brinkhaus B et al. Dt. Ärzteblatt Nr. 4, 2006). Allerdings kam es bei ca. 1:1.000.000 Akupunktur-Sitzungen auch zu schwereren Komplikationen, z.B. zu drei Fällen von Pneumothorax. Keine Komplikation war lebensgefährlich. Ergebnisse sham-kontrollierter Studien weisen darauf hin, dass ein Großteil der Wirkung von Akupunktur durch unspezifischen Effekte zu Stande kommt, d.h. der spezifische Effekt der Akupunktur bei Schmerzerkrankungen liegt eher im Bereich einer kleinen Effektstärke. Darauf weist auch eine aktuelle patientenbasierte Meta-Analyse von Akupunkturstudien bei Schmerzerkrankungen hin (Vickers et al. Arch Int Med 2013). In einer dreiarmigen teil-randomisierten Studie konnte die Wirksamkeit von Akupunktur bei 649 Patientinnen mit Dysmenorrhoe belegt werden (Witt CM, Reinhold T, Brinkhaus B et al. (Am J Obstetrics & Gynecology 2008;189:166). Eine gesundheitsökonomische Analyse zeigte, dass Akupunktur zwar mit höheren Kosten verbunden ist, allerdings zeigte sich auch, dass nach Analyse der Kosten und der gewonnen Lebensqualität Akupunktur ein kosteneffektives Verfahren ist (Am J Obstetrics & Gynecology 2008;189:166). In einer weiteren Studie aus unserem Institut wurde die Wirksamkeit von einer selbst durchgeführten Akupressur bei Patientinnen mit Dysmenorrhoe untersucht. Die Rekrutierung der Studie, deren Methodik bereits publiziert wurde (Blöd S. et al. Trials 2013;14:99), ist bereits abgeschlossen, Ergebnisse liegen hingegen noch nicht vor. Ergebnisse einer weiteren Studie zur Wirksamkeit von Akupunktur bei Cancer Fatique bei Mamma-Carcinom-Patientinnen, deren Rekrutierung ebenfalls abgeschlossen ist, liegen ebenfalls noch nicht vor. Abschließend wurden noch Studienergebnisse einer amerikanisch-ägyptischen Forschergruppe vorgestellt, die darauf hinweisen, dass der Extrakt von Grünem Tee bei Patientinnen mit Uterusmyom wirksam ist (Roshdy E et al. Int J Woman's Health 2013;5:477 – 486). Ergebnisse einer experimentellen Studie zeigen eine antiproliferative und apoptoseinduzierende Wirksamkeit der Hauptkomponente des Grünen Tee-Extrakts Epigallocatechin-3-gallat (EGCG) (Zhang D et al. Am J Obstet Gynecol 2010;202:e1-e9) an menschlichen Leiomyomzellen. Weitere klinische Studie müssen durchgeführt werden, um dieses Ergebnis zu bestätigen.

Zusammenfassend erscheint es wichtig, dass Verfahren der KIM mit seriösen und methodisch adäquaten Studienmethoden wissenschaftlich hinischtlich der Wirksamkeit, Therapiesicherheit und Kosten untersucht werden.