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DOI: 10.1055/s-0036-1584458
60 Jahre Arzneimittel aus Cimicifuga racemosa – Meilensteine klinischer Forschung, aktuelle Studienerkenntnisse und Entwicklungen
Etwa vier von fünf Frauen leiden während ihrer Wechseljahre an Beschwerden (WJB) wie Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und damit assoziierten Schlafstörungen, etliche zusätzlich an psychischen Symptomen wie Verstimmungszuständen, Nervosität und Reizbarkeit. Seit Jahrzehnten gewinnt deren Therapie mit Extrakten aus dem Wurzelstock von Cimicifuga racemosa L. (CR, Traubensilberkerze, Black Cohosh) weltweit an Bedeutung. Diese Arzneidroge stammt ursprünglich aus der Volksmedizin Nordamerikas. Das erste hieraus hergestellte Fertigarzneimittel steht seit 1956 zur Verfügung (Deutschland, Remifemin®, isopropanolischer Extrakt iCR). Etwa zeitgleich etablierte Kupperman seinen Menopause-Index (KMI, 1953 – 1959) [1], der seither in diversen klinischen Studien zu CR eingesetzt wurde. In den 50er- bis 70er-Jahren folgte die klinische Forschung zu CR dem damals üblichen Vorgehen, dem Dokumentieren und Veröffentlichen von klinischen Erfahrungswerten. Das Arzneimittelgesetz 1976 führte die Pflicht zum Nachweis der Wirksamkeit ein, entsprechende kontrollierte klinische Studien folgten in den 80er-Jahren. 1985 – 1987 erließ das BMJFFG [2] Grundsätze für die Durchführung der klinischen Prüfung von Arzneimitteln. Entsprechend wurde die erste randomisierte placebokontrollierte klinische Prüfung zu CR durchgeführt (1986, KMI, Deutschland) [3].
Good Clinical Practice trat erstmals 1991 und dann 1996 ICH-harmonisiert in Kraft. Hauser veröffentlichte 1994 seine Menopause Rating Scale MRS als neues Messinstrument von Wechseljahresbeschwerden [4], für die 2000 eine Faktorenanalyse die MRS-I-Subskalen etablierte [5] und eine Selbstbeurteilungsvariante als MRS-II erschien [6] (mittlerweile in 27 Sprachen verfügbar).
Die erste GCP-konforme klinische Studie zu CR widmete sich 1995 der Fragestellung zur Dosis-Wirksamkeitsbeziehung (KMI, Polen). Tagesdosen an iCR-Extrakt aus bis zu 127 mg CR erwiesen sich als sicher [7]. Ohne Differenzierung nach Menopausestatus waren bereits 40 mg ausreichend wirksam. Doch perimenopausale Frauen profitierten von 127 mg mehr als von 40 mg [8]. 2002 – 2005 folgte die zweite placebokontrollierte klinische Prüfung zu iCR (MRS, Deutschland) [9]. Neben dem Wirksamkeitsbeleg arbeitete sie Einflussgrößen auf die Wirksamkeit heraus und ergab erste Hinweise auf einen suprahypothalamischen ZNS-Einfluss von iCR. 2003 wurde die erste placebokontrollierte Studie zu einem Cimicifuga-Produkt mit einem ethanolischen Extrakt publiziert (Klimadynon®). Zwar verpasste sie knapp die Signifikanzgrenze, doch etablierte sie die MRS-basierte Effektgröße einer Hormontherapie der WJB im Vergleich zu Placebo und CR (Tschechien) [10].
Kontrollierte Studien zum Vergleich von iCR mit anderen WJB-Therapien ergaben keinen Wirksamkeitsunterschied zu Hormonpflastern (2005, Italien) [11] und zu Tibolon bei gleichzeitiger Überlegenheit in punkto Sicherheit (2007, erstmals China) [12].
2005/2008 belegte eine klinische Studie den ZNS-Einfluss von iCR klinisch per Positronen-Emissions-Tomografie (USA) [13]. Dies ist vereinbar mit pathophysiologischen Untersuchungen, in denen menopausale Hitzewallungen mit ZNS-kortikaler Aktivierung einhergingen (2006, USA) [14].
Die bisher größte klinische Studie zu CR (N = 6141) stammt aus 2005 (Deutschland), davon 736 Patientinnen mit Sicherheitsdaten erstmals über 12 Monate. Sie verglich iCR mit einem Kombinationsprodukt aus iCR und Johanniskraut (HP) und zeigte für iCR-HP einen zusätzlichen Benefit auf die psychische Komponente der WJB [15]. Auch für diese Kombination erfolgte der Wirksamkeitsbeleg mittels placebokontrollierter Studie (2006, MRS, Deutschland) [16].
2006 folgte eine klinische Studie zur Sicherheit am Endometrium unter 12-monatiger CR-Therapie (Polen, Tschechien) [17]. Die iCR-Sicherheit am Brustgewebe (Mammografie und Feinnadelbiopsie) wurde auch mittels klinischer Studie untermauert: 2007 allein [18] und 2011 in metaanalytischem Vergleich [19] zu Placebo und Tibolon (Schweden). Zudem ergab eine pharmakoepidemiologische Kohorten-Studie ein 4,5 Jahre längeres rezidivfreies Überleben für iCR-Anwenderinnen nach Brustkrebs (2007, Deutschland) [20].
Ein weiteres CR-Produkt (Remixin®) steuerte 2008 eine kontrollierte Studie im Vergleich zu Fluoxetin bei, mit Unterlegenheit in der psychischen Komponente der WJB und Überlegenheit im KMI (Türkei) [21].
2009 attestierte das HMPC per Monografie einen well-established use von CR-Extrakt-haltigen Arzneimitteln auf Basis der bis dahin publizierten Studien bei WJB. Gemäß HMPC beinhaltet die Anwendungsdauer keine zeitliche Begrenzung, nach 6 Monaten Therapiedauer soll jedoch ärztlicher Rat eingeholt werden. Die Behandlung von WJB mit CR schließt auch Brustkrebspatientinnen nicht aus, sofern ein entsprechender Rat vom Arzt eingeholt wird.
Die erste Metaanalyse widmete sich 2011 dem Thema Lebersicherheit. Sie fasste die Leberfunktionswerte aller 5 bis dahin verfügbaren kontrollierten klinischen Studien zu iCR zusammen, in denen diese erhoben worden waren. Hinweise auf eine Lebertoxizität ergaben sich nicht (international) [22]. Von 2000 bis 2015 wurden insgesamt 29 klinische Studien aus Europa, Amerika und Asien zur Wirksamkeit von CR veröffentlicht. 10409 Patientinnen erhielten in diesen Studien ein CR-Arznei-mittel, 93% davon iCR [23, 24, 25]. 2013 erschien in Korrektur eines Cochrane-Berichtes eine vollständige Metaanalyse aller 9 bis dahin veröffentlichten placebokontrollierten Studien und bestätigte eine zuverlässige Wirksamkeit von CR-Arzneimitteln (international) [26].
Eine aktuelle Studienauswertung ergab, dass sich Myome bei den Frauen verkleinerten, die ihre WJB mit iCR im Gegensatz zu Tibolon behandelten (2014, China) [27]. Die jüngste placebokontrollierte klinische Studie zu iCR stammt aus China. Sie zeigte eine Verbesserung der Schlafqualität [28].
Zukünftige CR-Forschung dürfte sich den Themen Wirkungsmechanismen, möglichen Indikationserweiterungen (z.B. Brustkrebs-Rezidiv-Prophylaxe) oder Zusatznutzen (z.B. Verbesserung von Osteoporose-Frakturraten oder kognitiven Fähigkeiten) widmen. Die bisherigen KliFo-Fakten zu CR bestätigen die Sicherheit und Wirksamkeit bei Wechseljahresbeschwerden, liefern aber auch wertvolle Ansatzpunkte hinsichtlich Zusatznutzen, Wirkmechanismen und mehr.
[1] Kupperman HS. JAMA 1959; 171: 1627 – 1637
[2] Bundesministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit, BAnz 1987: 16617 – 16624
[3] Stoll W. Therapeutikon 1987; 1: 23 – 31
[4] Hauser GA. Zentralbl Gynakol 1994; 116: 16 – 23
[5] Schneider HPG. Maturitas 2000; 37: 113 – 124
[6] Potthoff P. Zentralbl Gynakol 2000; 122: 280 – 285
[7] Liske E. J Women's Health 2002; 11: 163 – 174
[8] Henneicke-von Zepelin HH. Climacteric 2002; 5: 91 – 91
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[12] Bai W. Maturitas 2007; 58: 31 – 41
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[14] Freedman RR. Fertil Steril 2006; 85: 674 – 678
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[20] Henneicke-von Zepelin HH. Int J Clin Pharmacol Ther 2007; 45: 143 – 154
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[25] Wu XS. Master Degree Thesis. 2011; Dalian Medical University
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