Geburtshilfe Frauenheilkd 2016; 76 - P278
DOI: 10.1055/s-0036-1593109

Die klinische Bedeutung von EMG und Pudenduslatenzmessung bei Harnblasenentleerungsstörung ohne subvesikale Obstruktion

N Schwertner-Tiepelmann 1, J Marschke 1, A Hagedorn 1, C Erschig 1, F Schwab 1, K Beilecke 1, R Tunn 1
  • 1Deutsches Beckenbodenzentrum, Klinik für Urogynäkologie, Berlin, Berlin, Deutschland

Zielsetzung: Die Notwendigkeit neurophysiologischer Untersuchungen bei Frauen mit Harnblasenentleerungsstörung ohne urogynäkologische Ursache zu hinterfragen, Prävalenz von Pudendusschäden sowie Korrelationen zwischen Anamnese und neurogenem Schaden zu erfassen und sofern möglich EMG oder Pudenduslatenszeitmessung als Standardverfahren zu etablieren und therapeutische Konsequenzen zu beleuchten.

Methoden: Retrospektive Analyse von 184 Frauen behandelt 07/2005 – 04/2010 bei Harnblasenentleerungsstörung ohne Descensus > 2 ° (Baden Walker Klassifikation)/subvesikale Obstruktion, welche im Rahmen der neurologischen Untersuchung elektronisch stimulierte Pudenduslatenzzeitmessungen ESPL vaginal und anal sowie Elektromyografie EMG erhielten. Pathologisch waren Latenzen > 2,4 ms. Univariate und multivariate Datenanalysen erfolgten mit SPSS.

Ergebnisse: 46 (25%) wiesen eine PNP auf, pathologische ESPL korrelierten mit Polyneuropathieursachen (Diabetes mellitus (p = 0,022), Chemotherapeutika (p = 0,009), Radiotherapie und/oder radikalen Operationen im kleinen Becken (p = 0,003)). Eine Spastik im EMG war für Patientinnen mit Multipler Sklerose signifikant (p =< 0,001). Sowohl Alter > 60 Jahre (p-Wert =< 0,001) als auch Z.n. Chemotherapie (p-Wert = 0,035) korrelierten mit neurogener Schädigung im EMG. Therapiewechsel erfolgten bei 36 Frauen (19,6%); weiterführende Bildgebung in 17/36, Weiterbetreuung durch Neurologen in 11/36, Internisten (PNP Diagnostik und Therapie) in 8/36, Psychiater/Psychotherapeuten in 5/36, Umstellung der Medikation (Antidepressivawechsel, anticholinerg wirksame Medikation) in 13/36. Auch das operative Procedere wurde in 17/36 verändert.

Zusammenfassung: EMG und ESPL sind komplementäre Untersuchungstechniken und korrelieren nicht miteinander (anal p-Wert = 0,123, vaginal p-Wert = 0,053). Da aufgrund der Neurologie in 19,6% Therapieänderungen erfolgen und von initial geplanter OP in insgesamt 8,7% Abstand genommen wurde, rechtfertigt dies die neurophysiologische Untersuchung von Frauen mit Harnblasenentleerungsstörung ohne subvesikale Obstruktion.