Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(04): 406-429
DOI: 10.1055/s-0037-1601537
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Arthrogryposis multiplex congenita mit Lungenhypoplasie

J Westphal
1   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena
,
C Pinkwart
2   Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Abteilung Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin, Universitätsklinikum Jena
,
C Voigt
1   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena
,
U Schneider
1   Klinik für Geburtsmedizin, Universitätsklinikum Jena
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Publication History

Publication Date:
06 April 2017 (online)

 

Fragestellung:

Es wird der Verlauf einer spät diagnostizierten Arthrogryposis multiplex congenita als Kasuistik vorgestellt.

Kasuistik:

Die Zahl an seltenen und in Deutschland zum Teil vergessenen Erkrankungen hat sich seit 2015 durch den Zustrom von Flüchtlingen deutlich vergrößert. Dazu trägt die häufig bestehende Konsanguinität der zugewanderten Eltern bei. Die Arthrogryposis multiplex congenita mit pulmonaler Hypoplasie (AMCPH) tritt mit einer Prävalenz von 1/1000000 sehr selten auf. Charakterisiert ist dieses Syndrom durch den Symptomkomplex multiple Kontrakturen und Frakturen, Faziale Dysmorphien und Lungenhypoplasie. Es handelt sich nicht um eine Diagnose sondern um eine Gruppe von Symptomen, welche durch fetale Akinesie provoziert werden.

Wir stellen den Fall einer 18-jährigen Patientin vor, die bereits auf der Flucht aus Afghanistan 2015 ein gesundes Mädchen im Iran geboren hatte. Aufgrund der Herkunft bestand eine erhebliche Sprachbarriere. Die Patientin stellte sich mit 36+2 SSW erstmals auf Zuweisung des niedergelassenen Frauenarztes nach bisher unauffällig beschriebenem Schwangerschaftsverlauf in unserer Klinik vor.

Es zeigten sich hier eine schwere IUGR < 3. Perz., ein Hydrothorax, und generalisierter Hydrops fetalis sowie verkürzte Extremitäten und mangelnde Spontanbewegungen. Die Hüftgelenke waren in Flexionsstellung, die Knie und oberen Sprunggelenke in Extensionsstellung fixiert. Eine ambulant durchgeführte Amniozentese hatte unauffällige molekularzytogenetische Befunde für die Chromosomen X, Y, 13, 18, 21 ergeben. Im dolmetscherunterstützten Perinatologischen Konsil wurde bei dem bestehenden Verdacht auf eine Arthrogryposis multiplex congenita und Beckenendlage des Kindes der Geburtsmodus mittels primärer Sectio und neonatologische Intensivtherapie von den Eltern ausdrücklich gewünscht und festgelegt. Notfallmäßig stellte sich die Patientin mit regelmäßiger Wehentätigkeit in der 36+6 SSW erneut vor. Bei fulminanter Progredienz bestand die Indikation zur unmittelbaren Durchführung der Schnittentbindung. Es wurde ein 2170 g (< 1. Pz) schweres, 48 cm langes (20. Pz.) und 33 cm Kopfumfang (19. Pz.) messendes männliches Neugeborenes entbunden. Bei APGAR 0/0/0 erfolgte die leitliniengerechte Reanimation. Leider musste trotz suffizienter Atemwegssicherung, Kreislauftherapie und mehrfachen Adrenalingaben die Reanimation nach 45 Minuten erfolglos abgebrochen werden. Der ärztliche Entscheidungsweg wurde trotz der bestehenden Sprachbarriere dem Vater verständlich gemacht und er zeigte sich damit einverstanden. Die durchgeführte postmortale Diagnostik bestätigte weitere Charakteristika des genannten Symptomkomplexes. Eine humangenetische Beratung der Familie wurde initiiert.