Geburtshilfe Frauenheilkd 2017; 77(05): 524-561
DOI: 10.1055/s-0037-1602345
Geburtshilfe & Fetomaternale Medizin II; Datum: Freitag, 16.06.2017, 15:30 bis 17:00 Uhr, Vorsitz: Burkhard Schauf, Philipp Reif
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fallvorstellung: Therapieresistente Hyperemesis gravidarum mit Thiamin-Mangel und konsekutiver Wernicke-Enzephalopathie

F Winterholler
1   Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Nürnberg
,
A Wohlfarth
1   Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Nürnberg
,
C Brucker
1   Klinikum Nürnberg, Klinik für Frauenheilkunde, Paracelsus Medizinische Privatuniversität Nürnberg
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Publication History

Publication Date:
02 June 2017 (online)

 

Einleitung:

Hyperemesis gravidarum (Inzidenz: 1 – 2%) ist eine ätiologisch ungeklärte Erkrankung, die in den ersten 16 Schwangerschaftswochen auftritt, aber selten auch bis in das III. Trimenon reichen kann. Die Symptome sind Übelkeit und übermäßiges Erbrechen der Schwangeren mit Gewichtsverlust, Ketonurie, Dehydratation und Elektrolytverschiebung. Bei schweren Verläufen kann unter Umständen, neben der Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution, eine parenterale Ernährung notwendig werden. Dabei sollten ausreichende Vitamingaben erfolgen. Das Wernicke-Korsakow-Syndrom ist eine Enzephalopathie mit einem amnestischen Syndrom bei chronischem Thiamin-Mangel.

Epikrise:

Die syrische 37-jährige IIIG/IP wurde in der 6. SSW mit Hyperemesis gravidarum aufgenommen. Die Hyperemesis zeigte sich bei wechselnden Therapie-Schemata und mit dem Internisten abgestimmter parenteraler Ernährung mit Nutriflex Lipid plus® und Glucose 40% bis zur 14. SSW als therapieresistent. Bei zunehmender Bewusstseinseintrübung und Wesensveränderung wurde die Patientin der Neurologie vorgestellt. Bei klinischem Verdacht auf eine Wernicke-Enzephalopathie (Ataxie, Nystagmus, Apathie) und dem passenden bildmorphologischen Korrelat (MRT) wurde mit einer Thiamin-Substitution begonnen. Laborchemisch konnte der Vitamin-B1-Mangel bestätigt werden. Unter der Substitutionstherapie besserte sich die Symptomatik, so dass die Patientin in gebessertem Zustand entlassen werden konnte. Eine Vitamin-B1-Substitution wurde der Patientin bis zur Geburt empfohlen. Die Patientin hat in der 41. SSW einen gesunden Knaben komplikationslos spontan entbunden. Bei der neurologischen Nachuntersuchung imponierte ein persistierender Pendelnystagmus und eine leichte Gangunsicherheit. Das postpartal durchgeführte MRT zeigte eine Befundregredienz mit noch diskreten residuellen Signalveränderungen beidseits thalamisch und rechts pontin.

Ergebnis:

Wernicke-Enzephalopathie durch einen Thiamin-Mangel < 15 µg/l (Normbereich 28 – 85 µg/l) bei therapieresistenter Hyperemesis gravidarum.

Schlussfolgerung:

Vor allem bei Migranten aus schwierigen sozialen Verhältnissen und mit fraglicher vorbestehender Mangelernährung sollte neben dem üblichen Labor auch Vitamin-Kontrollen, insbesondere von Thiamin (Vitamin B1) in Betracht gezogen werden, um einen vorbestehenden Mangel bzw. Verlust rechtzeitig ausgleichen zu können. Eine parenterale Ernährung schützt nicht vor Mangelerscheinungen.