Suchttherapie 2017; 18(S 01): S1-S72
DOI: 10.1055/s-0037-1604525
Symposien
S-06 Das Stigma von Suchtkrankheiten verstehen und überwinden
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Barrieren zum Alkoholscreening bei Patienten mit Hypertonus. Die Rolle von Stigma

L Kraus
1   IFT Institut für Therapieforschung, München
,
F Hanschmidt
2   Department of Psychosomatic Medicine, University of Leipzig, Leipzig
,
J Manthey
3   Institute of Clinical Psychology and Psychotherapy, Technische Universität Dresden
,
E Scafato
4   WHO Collaborating Center for Health Promotion and Research on Alcohol and Alcohol-related Health Problems, Rom
,
A Gual
5   Addictions Unit, Psychiatry Department, Neurosciences Institute, Hospital Clinic, Barcelona
,
C Grimm
6   General Practitioner, Bradford, UK
,
J Rehm
7   Institute for Mental Health Policy Research, Centre for Addiction and Mental Health, Toronto
› Institutsangaben
Weitere Informationen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
08. August 2017 (online)

 

Einleitung:

Alkohol gilt als einer der Hauptrisikofaktoren für Gesundheitsbelastung weltweit. Maßnahmen zur Reduktion negativer alkoholbezogener, gesundheitlicher Folgen wie Screening und Kurzinterventionen in der medizinischen Regelversorgung wurden als (kosten-) effektiv bewertet. Allerdings besteht Nachholbedarf bezüglich der Implementierung, was sich in geringen Anteilen von Screenings bei Patienten mit einem riskanten Trinkverhalten widerspiegelt. Als Gründe für den mangelnden Einsatz von Alkoholscreenings wurde von niedergelassenen Ärzten u.a. mangelnde Zeit und geringer finanzieller Anreiz berichtet. Zudem empfanden sie ein Screening aller Patienten als unangemessen. Da Bluthochdruck in hohem Maße von Alkohol versursacht wird und die Behandlung in der Regelversorgung fest verankert ist, stellt sich die Frage, (1) welche Hindernisse für ein Routinescreening bei Patienten mit Bluthochdruck vorliegen, und (2) welche Rolle die Stigmatisierung von Personen mit alkoholbezogenen Störungen dabei spielt.

Methodik:

Es wurde eine web-basierte Befragung des medizinischen Personals in der Primärversorgung (n = 3.081) in Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und dem Vereinigten Königreich durchgeführt. Die Fragen zu möglichen Hindernissen von Alkoholscreenings wurden als Freitext erhoben. Diese wurden von zwei Ratern unabhängig voneinander kategorisiert. Mithilfe logistischer Regressionen wurden stigmabezogene Hindernisse durch die Variablen Ausbildung, Wissen zu alkoholbezogenen Risiken und die Häufigkeit von Alkoholscreenings vorhergesagt.

Ergebnisse:

Während in Frankreich und Italien die Hälfte aller berichteten Hindernisse stigmabezogen war, wurden in Spanien und dem Vereinigten Königreich am häufigsten Zeitprobleme als Gründe genannt. In Deutschland unterschätzte jeder zweite Teilnehmer die Bedeutung von Alkoholscreening bei Bluthochdruck. Die Einschätzungen, dass Screening unangemessen, zu aufwändig und unnötig sei und dass die Befragten unzureichend über Screenings informiert seien, wurden als weitere Barrieren angegeben. Die berufliche Ausbildung zum Thema Alkohol wurde durchwegs als schlechter beurteilt als die Ausbildung zum Thema Bluthochdruck und nur eine Minderheit war über die Rolle von Alkohol als Risikofaktor für Bluthochdruck informiert. Stigmabezogene Hindernisse konnten nicht signifikant mit den Variablen Ausbildung, Wissen zu alkoholbezogenen Risiken und die Häufigkeit von durchgeführten Alkoholscreenings vorausgesagt werden.

Schlussfolgerung:

Regelmäßiges Alkoholscreening bei Patienten mit Bluthochdruck scheint weitestgehend akzeptiert zu sein (Deutschland), aber Fortbildung (Deutschland) und strukturelle Unterstützung (Spanien, Vereinigtes Königreich) könnten zu einer weiteren Verbreitung von Alkoholscreenings beitragen. In Frankreich und Italien könnte die Rate von Alkoholscreenings mit effektiven Strategien zur Reduzierung von Stigma verbessert werden.