Suchttherapie 2017; 18(S 01): S1-S72
DOI: 10.1055/s-0037-1604557
Symposien
S-15 Sucht und Migration
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Glücksspielprobleme bei türkeistämmigen Migranten

S Buth
1   Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD)
,
J Kalke
1   Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD)
,
D Karakus
1   Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD)
,
S Milin
2   Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg (ZIS), UKE, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
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Publication History

Publication Date:
08 August 2017 (online)

 

Einleitung:

Aus Repräsentativbefragungen ist bekannt, dass die Gruppe der türkeistämmigen Migranten einen überdurchschnittlich hohen Anteil von Personen mit einem pathologischen Spielverhalten aufweist. Gleichzeitig verweisen die Ergebnisse empirischer Studien darauf, dass die Raten der Inanspruchnahme von Hilfeangeboten sowie die Erfolgsquoten begonnener therapeutischer Maßnahmen reduziert sind. Welche Faktoren hierfür verantwortlich sind, ist bisher nur unzureichend wissenschaftlich untersucht worden. Ziele dieser Studie sind, (1) Ursachen eines vermehrten Auftretens von Glücksspielproblemen bei türkeistämmigen Migranten zu untersuchen, (2) Barrieren der Inanspruchnahme von Hilfe zu identifizieren und (3) Unterstützungsbedarfe zu ermitteln, um empirisch fundierte Empfehlungen für die Praxis abzuleiten zu können.

Methodik:

Diese vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Studie ist in Form von drei aufeinander folgenden Teilprojekten (TP) durchgeführt worden. TP1 beinhaltete Gespräche mit 10 Experten aus den Bereichen der Migrations-, Familien- und Suchtberatung. In TP2 wurden mittels Einzelinterviews acht aktuelle oder remittierte türkeistämmige pathologische Glücksspieler befragt. Das TP3 bestand aus einer quantitativen Befragung von insgesamt 160 türkeistämmigen Personen (Rekrutierung aus dem Hilfesystem sowie Selbstmelder), die dazu beitragen soll, die qualitativen Befunde zu validieren und gegebenenfalls zu ergänzen. Abschließend wurden die Ergebnisse der drei Teilprojekte im Rahmen eines halbtägigen Workshops hinsichtlich ihrer Relevanz für zukünftige Präventions- und Beratungs-/Behandlungsmaßnahmen diskutiert und bewertet.

Ergebnisse:

Erste Auswertungen machen deutlich, dass türkeistämmige Spieler dem klassischen Suchtkonzept – Spielsucht als eine psychische Erkrankung – häufig skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Insbesondere das Suchtpotential der Sportwetten wird unterschätzt. Es bestehen eine Reihe von problematischen Fehlannahmen in Bezug auf das Versorgungs- und Hilfesystem. Als bedeutsames Motiv für die Glücksspielteilnahme und sich entwickelnde Spielprobleme erweisen sich insbesondere innerfamiliäre Konflikte im Kontext der Migrationskultur. Es lassen sich drei größere Spielergruppen darstellen: „Importbräutigame“, junge Sportwetter und ältere Automatenspieler.

Schlussfolgerung:

Die vorliegenden Befunde verweisen auf die Notwendigkeit der Entwicklung neuer bzw. Intensivierung bestehender Maßnahmen zur Aufklärung der türkeistämmigen Bevölkerung hinsichtlich der Risiken des Glücksspiels (mit besonderer Berücksichtigung von Sportwetten), der Vermittlung von Problemlösekompetenzen sowie der Bekanntmachung von Möglichkeiten der Inanspruchnahme von Hilfe. Die besondere Bedeutung der Familie ist bei der Entwicklung von Präventions- und Spielerschutzmaßnahmen für diese Bevölkerungsgruppe zu berücksichtigen.