Klin Monbl Augenheilkd 2017; 234(10): S1-S13
DOI: 10.1055/s-0037-1604690
Abstracts
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

WAGR(O) Syndrom – besondere Herausforderungen bei der Betreuung von Aniridie-Patienten

B Käsmann-Kellner
1   Augenklinik, Sektion Kinderophthalmologie, Orthoptik, Low Vision & Neuroophthalmologie, Universitätsklinikum des Saarlandes UKS, Homburg (Saar), Deutschland
,
AR Viestenz
2   Klinik für Augenheilkunde, Universitätsklinikum Halle, Halle (Saale)
,
B Seitz
3   Augenklinik, Universitätsklinikum des Saarlandes UKS, Homburg (Saar), Deutschland
,
N Graf
4   Klinik für Pädiatrische Onkologie, Universitätsklinikum des Saarlandes UKS, Homburg (Saar)
,
R Furtwängler
4   Klinik für Pädiatrische Onkologie, Universitätsklinikum des Saarlandes UKS, Homburg (Saar)
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
12 October 2017 (online)

 

Hintergrund:

Das WAGR(O)-Syndrom ist ein contiguous gene deletion Syndrom (11 p deletion Syndrom) und basiert auf dem Verlust mehrerer benachbarter Gene. Es finden sich Wilms Tumor, Aniridie, genitourethrale Anomalien, sowie eine geistige Retardierung. Bei manchen kommt eine frühkindliche Obesitas hinzu. Verhaltensprobleme sind häufig. Die Prävalenz liegt bei 1:500.000; bei etwa 7/1000 maligner Wilms-Tumoren der Niere im Kindesalter liegt ein WAGR-Syndrom vor.

Patienten:

Bei derzeit 220 Patienten mit Aniridie am UKS finden sich 15 Patienten mit WAGR(O)-Syndrom. In die phänotypische Beschreibung werden zudem 6 weitere Patienten aufgenommen, die in einer Gruppe von 68 russischen Aniridie-Patienten einmalig in Moskau untersucht wurden.

Klinische Befunde: Von den 21 Patienten (8 Mo bis 41J) sind 5 nicht geistig behindert, 2 haben einen Universitätsabschluss, 3 lernen Braille. 14 der 21 Patienten hatten einen Wilms-Tumor, der mit Chemotherapie und Operationen behandelt worden war. Das Alter der WAGR-Kinder ohne Wilms-Tumor liegt zur Zeit zwischen 8 Monaten und 7 Jahren.

Alle Patienten hatten neben der Microdeletion 11 p eine molekulargenetische Analyse vor allem hinsichtlich des BDNF-Gens (brain-derived neurotrophic factor), da ein Einbezug dieses Gens in der Deletion mit Adipositas und oft stärkerer geistiger Beeinträchtigung und Verhaltensauffälligkeiten (AD(H)D, obsessiv-zwanghaftes Verhalten, autismusähnlich) einhergeht.

Alle Patienten zeigen eine partielle oder komplette Aniridie und es fällt auf, dass bei den WAGR(O)-Patienten die typischen Aniridie-bezogenen Komplikationen (Katarakt, Sekundärglaukom, Limbusstammzellinsuffizienz mit vaskularisierten Hornhautnarben) etwas früher als bei Patienten mit PAX6 Haploinsuffizienz einzutreten scheinen. 6 Patienten weisen eine Myopia permagna auf, mit Z.n. ein- oder beidseitigen Amotiones. Bei 4 Patienten findet sich ein Zustand nach abgelaufenem Aniridie-Fibrose-Syndrom (AFS) mit Atrophia bulbi.

Schlussfolgerungen:

Die Untersuchungsbedingungen bei WAGR(O)-Patienten sind deutlich erschwert durch die oft sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne, Aggression und Weglauftendenzen. Dennoch benötigen gerade diese Kinder eine sehr genaue ophthalmologische Kontrolle, um nicht Gefahr zu laufen, ihr Restsehvermögen zu verlieren, was sich negativ auf ihre Entwicklung auswirken würde. Zudem ist eine enge Verzahnung mit der Kinderonkologie notwendig, um Wilms-Tumoren möglichst früh zu erkennen.