Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2006; 34(06): 357-367
DOI: 10.1055/s-0037-1621090
Wiederkäuer
Schattauer GmbH

Untersuchungen zum Auftreten der Gebärparese in verschiedenen Regionen Deutschlands und zum Einsatz unterschiedlicher Therapien im Vergleich zur Kalziuminfusion

Teil 2: Differenzialdiagnosen und HeilungserfolgSurvey of the occurrence of parturient paresis in dairy cows in different regions of Germany and of the use of alternative therapy forms compared to the intravenous infusion of calciumPart 2: Differential diagnosis and success of therapy
C.-Ch. Gelfert
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
St. Lesch
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
I. Alpers
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
M. Decker
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
A. Hüting
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
W. Baumgartner
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
,
R. Staufenbiel
1   Klinik für Wiederkäuer (Leiter: Prof. Dr. W. Baumgartner) der Veterinärmedizinischen Universität Wien
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Eingegangen: 30 August 2005

akzeptiert: 22 February 2006

Publication Date:
12 January 2018 (online)

Zusammenfassung

Gegenstand und Ziel: Ermittlung der Häufigkeiten ätiologischer Ursachen für das peripartale Festliegen von Kühen im in verschiedenen Regionen Deutschlands und Untersuchung deren therapeutischer Beeinflussbarkeit. Material und Methoden: In den Einzugsgebieten von vier Tierarztpraxen (A-D) wurden für die einjährige Untersuchung 764 peripartal festliegende Milchkühe in die Studie aufgenommen. Einer eingehenden Anamnese folgte die klinische Untersuchung. Vor jeder Therapie wurden in einer Blutprobe die Konzentrationen von Kalzium, Phosphor, Magnesium, Bilirubin, β-Hydroxybuttersäure, Harnstoff, Cholesterin und die Aktivitäten der AST, CK und GLDH bestimmt. In den Praxen B-D bestand die Standardtherapie aus der intravenösen Infusion einer organischen Kalziumlösung, die bei jeder zweiten Kuh (Versuchsgruppe) um ein weiteres zu testendes Medikament (B: Vitamin D3; C: Toldimfos, D: Dexamethason) erweitert wurde. In Praxis A enthielt die Kalziumlösung der Standardtherapie einen deutlich geringeren Phosphorgehalt als die der Versuchstherapie. Für den Vergleich der Therapieerfolge wurden nur die Tiere berücksichtigt, die nachweislich eine Hypokalzämie aufwiesen. Ergebnisse: Unabhängig von der Region war bei Kühen ab der zweiten Laktation eine Hypokalzämie die Hauptursache für das Festliegen. In der Mehrheit der Fälle bestand gleichzeitig eine Hypophosphatämie. Muskelschäden stellten die zweithäufigste Krankheitsursache dar und traten vermehrt parallel zur Hypokalzämie auf. Bei den Kühen mit einer Hypokalzämie hatte die zusätzliche Verabreichung der Medikamente zur Kalziuminfusionslösung keinen statistisch nachweisbaren Einfluss auf den Ersttherapieerfolg, die Gesamtheilungsrate und die Anzahl benötigter Behandlungen. Der Ersttherapieerfolg lag zwischen 70,7 und 84,2%, die Gesamtheilungsrate zwischen 87,5% und 95,2%. Kühe, die nicht geheilt werden konnten, wiesen schon vor der Ersttherapie statistisch gesichert höhere Aktivitäten der CK (p < 0,020) und AST (p < 0,003) im Serum auf. Bei Färsen waren nach den Serumwerten Muskelschäden die Hauptdiagnose. Ob es sich bei diesen Schäden um die Folge von Schwergeburten oder nervale Schädigungen handelte, konnte anhand des klinischen Bildes nur in Einzelfällen geklärt werden. Schlussfolgerung und klinische Relevanz: Bei Kühen ab der zweiten Laktation ist eine Hypokalzämie die Hauptursache für das Festliegen im peripartalen Zeitraum. Damit stellt bei solchen Tieren eine intravenöse Infusion von organischen Kalziumlösungen die Therapie der Wahl dar. Weitere Therapeutika steigern den Therapieerfolg nicht. Myopathien treten gehäuft als Begleiterkrankung auf und können den Therapieverlauf ungünstig beeinflussen. Bei Färsen sind sie die Hauptursache für das Festliegen.

Summary

Objective: The aim of the study was to investigate the rate of the different causes of parturient paresis in dairy cows in different regions of Germany. Material and methods: In four veterinary practices (A-D) in different regions of Germany, 764 cows which became recumbent around parturition were included in the study for a period of one year. After recording the case history, all animals were examined clinically. Before any treatment serum samples were taken from the jugular vein to measure the concentrations of calcium, phosphorus, magnesium, bilirubin, β-hydroxybutyrate, cholesterol, urea and the activities of AST, GLDH and CK. In each practice the control therapy consisted of the intravenous infusion of an organic calcium solution, which was supplemented in every second cow (test group)with another drug (B: Vitamin D3; C: Toldimfos; D: Dexamethasone). In Practice A, the calcium solution was replaced by another which contained 1.2 g phosphorus in addition. Results: Independent of the region, hypocalcaemia was found to be the major cause of paresis in parturient cows of the second lactation or older. The majority of these cows also had hypophosphataemia. Muscle damage was the second frequent diagnosis in parturient cows and the major concomitant disease in cows with hypocalcaemia. The use of an additional drug beside the organic calcium solution did not influence the success rate after first treatment, the overall rate of healed animals and the number of treatments needed. The success rate after first treatment ranged between 70.7 and 84.2%, and the overall rate ranged between 87.5 and 95.2%. Cows which could not be healed had significantly higher serum activities of CK (p < 0.020) and AST (p < 0.003) before the first treatment. In contrast to older cows, muscle damage was the major cause of recumbency in heifers. It could not be clarified in each case whether these damages were the result of dystocia or nerval lesions. Conclusions and clinical relevance: From the second lactation on, hypocalcaemia is the major cause of paresis in parturient cows in the peripartal period. Therefore, an intravenous infusion of an organic calcium solution is the therapy of choice. Additional drugs are not useful. Muscle damage is a frequent concomitant disease and may have a negative stake in the success of therapy. In heifers muscle damage is the major cause for recumbency.

 
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