Nervenheilkunde 2013; 32(08): 569-574
DOI: 10.1055/s-0038-1628536
Ulmer Heft
Schattauer GmbH

Trichotillomanie in der Praxis

Zwei Kasuistiken und BehandlungsansätzeTrichotillomania in practiceTwo case reports and treatment options
V. Jürgens
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III
,
Z. Sosic-Vasic
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III
,
N. Vasic
1   Universitätsklinikum Ulm, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie III
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Publication History

Eingegangen am: 10 May 2013

angenommen am: 23 May 2013

Publication Date:
23 January 2018 (online)

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Zusammenfassung

Wir berichten über zwei junge Patientinnen mit Trichotillomanie, bei denen das Leitsymptom des Haareausreißens seit einigen Jahren besteht und vornehmlich in Ruhephasen zur Emotionsregulation eingesetzt wird. Bei der ersten Patientin trat die Symptomatik in der Pubertät auf und hatte nicht auf eine medikamentöse Behandlung mit Serotoninwiederaufnahmehemmern (SSRI) und Gesprächstherapie angesprochen. Bei der zweiten Patientin begann das Haareausreißen bereits im fünften Lebensjahr und besteht bis heute. Nach dem Auszug aus dem Elternhaus und dem Auftreten zusätzlicher Belastungsfaktoren verschlechterte sich die Symptomatik derart, dass sie sich in ambulante psychotherapeutische und nervenärztliche Behandlung begab, die andauert und eine Minderung des pathologischen Verhaltens erwirkte. Insbesondere verhaltenstherapeutische Ansätze haben sich in den Untersuchungen im Rahmen der Therapie der Trichotillomanie als wirksam erwiesen. Die wenigen Therapiestudien deuten auf potenzielle Vorteile einer Kombinationsbehandlung (medikamentös und verhaltenstherapeutisch) hin, wobei aussagekräftige Daten, die eine medikamentöse Option im Vergleich zu den anderen hervorheben würden, noch fehlen. Bei der Trichotillomanie handelt es sich um ein aus unserer Sicht unterschätztes Krankheitsbild, das in der Praxis sicherlich häufiger und mit wesentlicheren Folgen als wahrgenommen vorkommt. In Anbetracht der immer spezifischeren und effektiveren verhaltenstherapeutischen Methoden, kann die Behandlung in vielen Fällen zur deutlichen Verbesserung der Symptomatik und Minderung des Leidensdrucks führen, weshalb der Erkrankung in der Praxis mehr Beachtung geschenkt werden sollte.

Summary

We report two clinical cases of young female patients suffering from trichotillomania. Both cases exhibit the hallmark symptom of hair pulling which is employed for emotional regulation. The first patient developed symptoms during adolescence and was responsive to neither drug therapy with selective serotonin reuptake inhibitors (SSRI) nor client-centered therapy. The second patient started hair pulling at age five and is still affected. In her case, an aggravation of the symptoms coincided with moving out of the parents’ house and the appearance of additional stress factors. The patient took up cognitivebehavioral psychotherapy which reduced the main symptoms. Previous research data suggest that trichotillomania is particularly amenable to cognitive-behavioral therapy approaches. An added benefit of simultaneous pharmaceutical treatment has not yet been established; so far, data on the effectiveness of specific drugs or drug classes is sparse. We argue that trichotillomania is an underestimated condition that requires application of specific diagnostic instruments along with development of behavioral treatment approaches.