Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e11
DOI: 10.1055/s-0038-1667898
SYMPOSIEN
Berufliche Gratifikationskrisen und Krankheit: Das Konzept und seine Weiterentwicklung. Symposium zum 75. Geburtstag von Johannes Siegrist
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einflussfaktoren auf und Auswirkungen von Effort-Reward Imbalance bei älteren Erwerbstätigen

R Peter
1   Universität Ulm, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Ulm, Deutschland
,
J Kamensky
2   Ulm, Deutschland
,
F Herbolsheimer
3   Universität Heidelberg, Psychologisches Institut, Heidelberg, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Hintergrund:

Der demografische Wandel führt, bedingt durch „double ageing“, nicht nur zur einer Alterung der Gesamtbevölkerung in Deutschland, sondern auch der Anteil der Älteren an der Erwerbsbevölkerung nimmt zu, während diese gleichzeitig schrumpft. Es ist deshalb wichtig, ältere Menschen möglichst lange in der Beschäftigung zu halten. Neben gesundheitlichen Aspekten beeinflussen finanzielle und persönliche Faktoren, sowie in zunehmendem Maße auch berufliche Stressbelastungen die individuelle Entscheidung des Erwerbsverbleibs. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit neueren Erkenntnissen zum Zusammenhang von beruflichen Stressbelastungen im Sinne von Gratifikationskrisen (effort-reward imbalance, ERI) mit gesundheitlichen Risiken und mit dem Wunsch nach vorzeitigem Erwerbsaustieg.

Methode:

Die lidA (leben in der Arbeit)-Studie ist eine deutschlandweite prospektive Untersuchung zum Zusammenhang von Arbeit, Alter, Gesundheit und Erwerbsteilhabe. Initial wurden 6335 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Männer und Frauen zweier Alterskohorten (Jahrgänge 1959 und 1965) untersucht. Zu zwei Erhebungszeitpunkten (2011 t0, 2014 t1) wurden mittels standardisierter persönlicher Interviews Informationen zur Soziodemografie, zur Erwerbstätigkeit zu beruflichen (ERI, Anforderungs-Kontroll-Modell, COPSOQ) und außerberuflichen (Work-family conflict WFC) Belastungen und zur Gesundheit (Beck's Depression Inventory BDI, SF-12), sowie 2014 zusätzlich zum gewünschten Berentungszeitpunkt gesammelt. Darüber hinaus gestattet die lidA-Studie eine 1 zu 1 Verknüpfung der Befragungsdaten mit erwerbsbiografischen Informationen der Sozialversicherung (etwa zu Beschäftigungs- und Erwerbslosigkeitszeiten) aus den letzten 25 Jahren. Zur Analyse der längsschnittlichen Zusammenhänge wurden multivariable Verfahren (etwa logistische Regressionen, Pfadanalysen) mit intensiver Kontrolle von Störgrößen eingesetzt.

Ergebnisse:

Im Pfadmodell zeigten sich Zusammenhänge zwischen ERI, WFC (jeweils t0) und depressiven Symptomen (t1), sowie eine mediierende Funktion von ERI im Zusammenhang von Sozialstatus und depressiven Symptomen bei Männern. Ferner konnte beobachtet werden, dass negatives Vorgesetztenverhalten die Auswirkungen von ERI hinsichtlich einer schlechten mentalen Gesundheit verstärkt. Schließlich zeigte sich eine Interaktion von beruflicher Position und ERI im Hinblick auf den gewünschten Berentungszeitpunkt: je niedriger die berufliche Position, desto stärker moderierte ERI den Wunsch nach vorzeitiger Berentung.

Schlussfolgerungen:

Berufliche Gratifikationskrisen sind, auch im Zusammenwirken mit anderen Faktoren wie WFC und Vorgesetztenverhalten, ein wichtiger Einflussfaktor der Gesundheit, aber auch des Wunsches nach vorzeitigem Erwerbsaustieg bei älteren Beschäftigten. Zukünftige Untersuchungen werden sich mit dem komplexen Geschehen um Determinanten des tatsächlichen Erwerbsausstiegs und der diesbezüglichen Rolle von ERI beschäftigen.