Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e11
DOI: 10.1055/s-0038-1667899
SYMPOSIEN
Berufliche Gratifikationskrisen und Krankheit: Das Konzept und seine Weiterentwicklung. Symposium zum 75. Geburtstag von Johannes Siegrist
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gratifikationskrisen in der Haus- und Familienarbeit – Prävalenz und Relevanz für die medizinsoziologische Ungleichheitsforschung

S Sperlich
1   Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Soziologie, Hannover, Deutschland
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Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Einleitung:

Mit dem Ziel, Stressoren der Haus- und Familienarbeit in ähnlich systematischer Weise wie im Erwerbsleben zu erfassen, wurde das Modell beruflicher Gratifikationskrisen in jüngerer Zeit auf die unbezahlte Haus- und Familienarbeit übertragen. In dem Vortrag werden die bisherigen Studienergebnisse mit dem neu entwickelten Fragebogen resümiert und die Relevanz von Gratifikationskrisen in der reproduktiven Arbeit für die Erklärung sozial verursachter gesundheitlicher Ungleichheit von Frauen diskutiert.

Material & Methoden:

Die Analysen beruhen auf einer bundesweiten Erhebung von 18- bis 60-jährigen Müttern mit Kindern im Alter von 0 – 18 Jahren, die vom Befragungsinstitut TNS Healthcare im Jahr 2009 durchgeführt wurde (n = 3129). Die Datengrundlage bildet ein postalisch versendeter Fragebogen zur sozioökonomischen, familiären, beruflichen und gesundheitlichen Situation von Müttern. Die Daten wurden vorwiegend mit varianz- und regressionsanalytischen Verfahren ausgewertet.

Ergebnisse:

Insgesamt 19,3% der Mütter geben in der Bevölkerungsstudie eine Dysbalance zwischen hoher Verausgabung und geringer Anerkennung der Haus- und Familienarbeit an. Gratifikationskrisen in der reproduktiven Arbeit sind in ähnlicher Weise wie im beruflichen Kontext mit erhöhten psychischen und somatischen Gesundheitsrisiken verknüpft und es zeigen sich systematische Zusammenhänge zwischen diesen Gratifikationskrisen und familiären, erwerbsbezogenen und sozioökonomischen Lebensbedingungen. Während das Ausmaß der Verausgabung keinen eindeutigen Sozialgradienten aufweist, wird eine geringe Anerkennung der Haus- und Familienarbeit signifikant häufiger von sozial benachteiligten Müttern problematisiert.

Diskussion:

Eingedenk der Limitationen, die sich insbesondere aus dem Querschnittsdesign der bisherigen Studien ergeben, weisen die Befunde darauf hin, dass die geringe Anerkennung der unbezahlten Haus- und Familienarbeit ein sozial ungleich verteilter gesundheitsrelevanter Stressor für Frauen in der aktiven Erziehungszeit ist. Psychosoziale Belastungen im Zusammenhang mit der reproduktiven Arbeit könnten damit zur Erklärung des empirisch gut dokumentierten Befundes sozial verursachter gesundheitlicher Ungleichheit von Frauen beitragen. Weiterführende longitudinale Studien sind jedoch angezeigt, um den Evidenzgrad zu erhöhen.