Psychother Psychosom Med Psychol 2018; 68(08): e28-e29
DOI: 10.1055/s-0038-1667946
SYMPOSIEN
Versorgungsforschung im Alter
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Ungedeckte Versorgungsbedarfe bei hochaltrigen Menschen mit Trauer und Verlusterfahrungen – Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Befragung

J Stein
1   Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Leipzig, Deutschland
,
A Pabst
1   Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Leipzig, Deutschland
,
HH König
2   Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Institut für Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung, Hamburg, Deutschland
,
S Riedel-Heller
1   Universität Leipzig, Medizinische Fakultät, Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP), Leipzig, Deutschland
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Publication History

Publication Date:
06 August 2018 (online)

 

Hintergrund und Ziele:

In unserer langlebigen Gesellschaft stellt die Sicherung der Gesundheitsversorgung älterer Menschen eine wachsende gesellschafts- und sozialpolitische Herausforderung dar. Mit zunehmendem Alter werden nicht nur der Verlust des Ehepartners wahrscheinlicher sondern auch andere Verluste, wie z.B. der Verlust enger Freunde oder anderer wichtiger Bezugspersonen, welche mit oftmals verheerenden Folgen einhergehen. Verlusterlebnisse und Trauer können daher maßgeblich mit ungedeckten Behandlungs- und Versorgungsbedarfen im hohen Alter assoziiert sein, welche häufig unerkannt bleiben und das Wohlbefinden und die Rollenfunktion negativ beeinflussen können. Bisher ist wenig über die Zusammenhänge zwischen Trauer und Verlusterlebnissen im hohen Alter und spezifischen, damit einhergehenden ungedeckten Bedarfen bekannt. Die vorliegende Arbeit verfolgt das Ziel, die Häufigkeit und Verteilung von Verlusterlebnissen sowie deren Zusammenhänge mit ungedeckten Bedarfen bei älteren Menschen im Alter von 75+ Jahren zu untersuchen.

Methoden:

Auf der Basis der laufenden Studie „Die Messung des Versorgungsbedarfs bei Hochbetagten: Erprobung, psychometrische Überprüfung und Etablierung der adaptierten deutschsprachigen Version des Camberwell Assessment of Need for the Elderly (CANE)“ wurde die aktualisierte deutsche Version des CANE in einer bevölkerungsrepräsentativen telefonischen Befragung in der Bevölkerung im Alter von 75+ Jahren (n = 1004) eingesetzt. Das CANE ist ein Instrument zur standardisierten Erfassung der gedeckten und ungedeckten physischen, psychischen und umfeldbezogenen Behandlungs- und Versorgungsbedarfe älterer Menschen. Neben der Bedarfssituation wurde erfragt, ob in den letzten 12 Monaten ein enger Familienangehöriger gestorben ist oder eine andere nahestehende Person, auf dessen Unterstützung die Person angewiesen war. Bei Bejahung der Frage wurde konkret gefragt, wer gestorben war. Neben deskriptiven Analysen (Häufigkeiten, Prozentwerte) wurden Regressionsanalysen zur Prüfung der Zusammenhänge zwischen Verlusterfahrungen und ungedeckten Bedarfen durchgeführt.

Ergebnisse:

In die Analysen wurden N = 988 Personen eingeschlossen. Von den 988 Personen berichteten 291 (29,7%) Personen mindestens ein Verlusterlebnis in den vergangenen 12 Monaten, wobei Mehrfachantworten möglich waren. Am häufigsten wurde in der Stichprobe über 75-jähriger Seniorinnen und Senioren der Verlust eines Freundes (N = 98, 33,5%) genannt. Über 75-jährige Seniorinnen und Senioren, welche in den vergangenen 12 Monaten einen Verlust erlebten, berichteten am häufigsten ungedeckte Bedarfe in den CANE-Bereichen Gedächtnis, körperliche Erkrankungen und Mobilität. Die Ergebnisse der Negativ-Binomial-Regression für die querschnittliche Vorhersage von ungedeckten Bedarfen zeigten, dass erlebte Verlusterfahrungen signifikant mit ungedeckten Bedarfen assoziiert waren. Andere Einflussfaktoren auf erhöhte ungedeckte Bedarfe waren Alter, Familienstand, Depressivität, soziales Netzwerk und die Anzahl der Erkrankungen.

Diskussion & Schlussfolgerungen:

Ausgehend von dem Befund, dass Verlusterlebnisse einen signifikanten Risikofaktor für ungedeckte Behandlungs- und Versorgungsbedarfe im Alter darstellen, sollten eine frühzeitige und systematische Identifikation und Erfassung ungedeckter Bedarfe zur Prävention einer Unter- oder Fehlversorgung in den Risikogruppen im Fokus stehen. Individuelle Bewältigungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit Verlusterlebnissen könnten auf diesem Wege gezielt gefördert werden, insbesondere vor dem Hintergrund, dass Verlusterlebnisse und Trauer maßgeblich zur Entwicklung von Depressionen im Alter beitragen können.

Acknowledgements:

Das Projekt wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert (FKZ: STE 2235/1 – 2; RI 1856/4 – 2). Janine Stein erhielt eine Förderung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF, FKZ: 01GY1613).