Zeitschrift für Palliativmedizin 2018; 19(05): e42
DOI: 10.1055/s-0038-1669334
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Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lesen – Berühren – Festhalten Über das Rezipieren von letzten Worten im Kontext der Würdezentrierten Therapie

A Züger
1   Justus Liebig Universität, Graduate Centre for the Study of Culture, Gießen, Germany
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Publication Date:
20 August 2018 (online)

 

Lesen ist eine hochkomplexe Praktik, die insbesondere durch das Berühren und Festhalten eines zu lesenden Objektes auch zu einer Körperpraktik wird.

Der vorliegende Beitrag diskutiert die Wechselbeziehung zwischen dem Lesen als Körperpraktik, dem Lesenden und der tangibeln Materialität des zu lesenden Objekts im End-of-Life Kontext.

In der Würdezentrierten Therapie, eine psychologische Kurzintervention für Palliativpatient_innen, werden durch einen speziell konzipierten Fragekatalog würdestärkende Erzählungen angeregt. Die autobiografischen Patientenerzählungen und Wünsche für die Angehörigen werden per Tonträger aufgezeichnet, transkribiert und durch den Therapeuten editiert, damit am Ende ein schriftliches Generativitätsdokument entsteht, das die Patient_innen ihren Angehörigen weitergeben können.

Auf der Basis von Leitfadeninterviews mit Angehörigen soll der Akt des Lesens als multidimensionale Rezeptionspraktik analysiert werden.

Das „Generativitätsdokument“ (Chochinov 2012), als gebundene Ansammlung von Papier, übernimmt in seiner Materialität verschiedene Funktionen. Es ist nicht nur Medium zwischen der/dem Verstorbenen und den Angehörigen, sondern kann durch seine Berührbarkeit die/den Verstorbene(n) selbst verkörpern. Als technische Reproduktion von Erinnerungen kann es wiederum der nächsten Generation haptisch weitergegeben oder aber im sicheren Safe gewürdigt werden.

Was bedeutet die Berührbarkeit von letzten Dingen in ihrer materiellen und räumlichen Präsenz für Trauernde? Wie steht die Materialität des gebundenen Dokuments in Beziehung zur Praktik des Erinnerns? Und welche Herausforderungen und Schwierigkeit sind mit der materiellen Sichtbarkeit von Erinnerungen verbunden?

Mit einem alltagskulturwissenschaftlichen ethnografischen Forschungsansatz soll das Rezipieren von Lebenserzählungen aus der der Würdezentrierten Therapie im Kontext von Sterben, Tod und Trauer diskutiert werden.