Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(01): 94
DOI: 10.1055/s-0038-1676880
Wissenschaftliche Sitzung am 17.01.2018
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erfolgreicher Widerstand gegen Abtreibungen bei „Ostarbeiterinnen“ im NS

W Frobenius
1   Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
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Publication Date:
17 January 2019 (online)

 

Zwangssterilisationen an „erbkranken“ Frauen, eugenische Abtreibungen und schließlich auch Schwangerschaftsabbrüche bei Zwangsarbeiterinnen aus dem Osten: Frauenärzte haben sich im „Dritten Reich“ zu willfährigen Helfershelfern nationalsozialistischer Politik gemacht. Während die zur „Aufrassung des Volkskörpers“ intendierten Sterilisationen sowie die damit verknüpften Abtreibungen trotz ihres Zwangscharakters im Kontext der Eugenik-Debatte Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts auf breite Zustimmung stießen, lehnten viele Gynäkologen die ab 1943 in einem speziellen Erlass verlangten Eingriffe bei „Fremdrassigen“ aus dem Osten ab. Dessen ungeachtet wurde trotzdem abgetrieben, Proteste dagegen fast völlig aus.

Eine Ausnahme stellte der Direktor der staatlichen Bamberger Hebammenschule und Frauenklinik, Werner Lüttge, dar. Lüttge, Korpsstudent, hoch dekorierter Weltkrieg-I-Teilnehmer und ab den 1920er Jahren Mitglied der Frontkämpfervereinigung „Stahlhelm“ sowie später der SA, übernahm die Klinik 1933 nach längerer Vakanz. 1937 wurde er NSDAP-Mitglied. Seine Karriere hatte bei Hugo Sellheim in Halle und Leipzig begonnen, wo er ab 1923 mit experimenteller Forschung auf dem jungen Spezialgebiet der Serologie von sich reden machte. Von 1928 bis 1933 war er als Oberarzt bei Hermann Wintz in der Bamberg benachbarten Erlanger Universitätsfrauenklinik tätig.

Mit dem Ansinnen, Schwangerschaften bei „Ostarbeiterinnen“ abzubrechen, wurde Lüttge erstmals im Juni 1943 konfrontiert. Damals zog er sich noch mit dem Hinweis auf „Platzmangel“ aus der Affäre. Zusätzlich bat er allerdings den Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie (DGG), Rudolf Theodor von Jaschke, um eine offizielle Stellungnahme – freilich vergebens. Als Lüttge im Oktober 1944 erneut zu Abtreibungen aufgefordert wurde, wandte er sich an das bayerische Kultusministerium. In einem mehrseitigen Schreiben begründete er seine Ablehnung der Eingriffe mit seiner Verantwortung als Hebammen- und Hochschullehrer sowie dem Hinweis auf die Rechtslage, nach der Abtreibungen mit der Todesstrafe bedroht waren. „In dem §218 steht nicht, dass Schwangerschaftsunterbrechung bei andersrassigen Völkern erlaubt ist. Kein Erlass kann infolgedessen von mir die Umgehung des §218 verlangen“, schrieb er und hatte damit Erfolg: „Ich stimme den Ausführungen [...] zu“, hieß es wenig später aus dem Ministerium.