Geburtshilfe Frauenheilkd 2019; 79(01): 99
DOI: 10.1055/s-0038-1676893
Wissenschaftliche Sitzung am 17.10.2018
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Postpartale und Postoperative Harnblasenentleerungsstörung – standardisierte Prävention und Therapie

J Marschke
1   Deutsches Beckenbodenzentrum, Klinik für Urogynäkologie, St. Hedwig Krankenhaus, Berlin
,
R Tunn
1   Deutsches Beckenbodenzentrum, Klinik für Urogynäkologie, St. Hedwig Krankenhaus, Berlin
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Publication Date:
17 January 2019 (online)

 

Die Miktion ist über den Parasympathikus reguliert, im kleinen Becken sind dies die Nn. splanchnici mit Ganglien in den Zielorganen. Interventionen (Op, Radiatio) haben häufig Nervenläsionen im parasympathischen Bereich mit Überwiegen der sympathisch regulierten Speicherfunktion zur Folge [1]. Blasenentleerungsstörungen nach gynäkologischen Operationen sind bekannt und in vielen Fällen Teil des postoperativen Diagnostik-und Therapiekonzepts. Weniger bekannt sind die hohen Zahlen von postpartalen Blasenentleerungsstörungen. Bemerkenswert ist die Anzahl von Blasenentleerungsstörungen bei asymptomatischen Frauen, die bis zu 6 Stunden postpartal von einer regulären Miktion berichteten und bei Kontrollen in bis zu 7% Restharnwerte > 500 ml aufwiesen [2].

Neben den direkten Nervenläsionen gibt es reversible Ursachen, die zu einer Blasenentleerungsstörung führen können. Diese sind neben dem postoperativen Ödem eine schmerzbedingte zentrale Miktionshemmung [3]. Eine Harnwegsinfektion führt ebenfalls zu einem Ödem des Urothels, damit kann neben der Verlegung des Blasenauslass auch die Integrität der Funktion der Muskelfilamente des M. Detrusor vesicae gestört werden.

Die optimale Konfiguration der Blase ist die kreisrunde Form, Änderung dieser Form (wie sie bei hoher Blasenfüllung auftritt) führt zur inkompletten Miktion. Übermäßige Blasenfüllung führt zu einem Auseinanderweichen der Aktin-Myosin-Muskelfilamente [4], was wiederum zu einer unvollständigen Miktion führt und eine persistierende Blasenentleerungsstörung begünstigt. Um die restharnfreie Spontanmiktion zügig wieder zu gewährleisten, ist eine zeitnahe Diagnostik und ggf. Unterstützung der Miktion notwendig. Dazu eignet sich das intermittierende Katheterisieren und ist insbesondere postpartal dem Dauerkatheter überlegen. Erfolgt eine regelmäßige Blasenentleerung, sind zusätzliche Maßnahmen empfohlen, um die vermutlich geschädigte Muskulatur (M. Detrusor vesicae) zu regenerieren. Hierfür eignen sich medikamentöse Ansätze: Alpha- Blocker [5] sowie Cholinergika. Zusätzlich ist eine Elektrostimulation über 3 – 9 Monate sinnvoll, bei welcher es durch niederfrequente Stromapplikation zur besseren Perfusion kommt [6]. Günstig ist die Kombination mit Biofeedback, um reflektorischen Kontraktionen der quergestreiften Muskulatur des Beckenbodens entgegenzusteuern.

Literatur:

[1] Petri und Kölbl: Gynäkologische Urologie. Georg Thieme Verlag, vierte Auflage 2013. ISBN-13: 978 – 3-13 – 639104 – 4

[2] Mulder FE et al. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/26224379 (2016) Delivery-related risk factors for covert postpartum urinary retention after vaginal delivery. Int Urogynecol J

[3] Lakeman MM et al. (2012) Anterior colporrhaphy does not induce bladder outlet obstruction. Int Urogynecol J.

[4] Simmons A (1997). Dynamic multi-planar EPI of the urinary bladder during voiding with simultaneous detrusor pressure measurement. Magn Reson Imaging.

[5] Meyer LE, Brown JN. (2012) Tamsulosin for voiding dysfunction in women. Int Urol Nephrol.

[6] Mariotti et al. (2009). Early recovery of urinary continence after radical prostatectomy using early pelvic floor electrical stimulation and biofeedback associated treatment. J Urol.