Tierarztl Prax Ausg G Grosstiere Nutztiere 2019; 47(04): 268
DOI: 10.1055/s-0039-1692756
Was kann moderne Tierzucht leisten?
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zucht auf Krankheitsresistenz bei der Honigbiene: Historische und aktuelle Aspekte

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1   Länderinstitut für Bienenkunde, Hohen Neuendorf/Institut für Mikrobiologie und Tierseuchen, Freie Universität Berlin
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Publication Date:
21 August 2019 (online)

 

Die Bienenzucht ist ein wesentlicher Bestandteil der Bienenhaltung, aber nicht jeder Bienenhalter (Imker) ist auch ein Bienenzüchter, da die Zucht, speziell die gezielte Zucht auf gewünschte Eigenschaften, weit über das pure Halten von Bienen zur Pflanzenbestäubung und Honiggewinnung hinausgeht. Zuchtziele bei Bienen waren von jeher verbesserte Sanftmut, besserer Wabensitz, höhere Schwarmträgheit und gesteigerter Honigertrag, also Eigenschaften, die das Imkern erleichtern und ertragreicher machen. In den letzten Jahrzehnten gewannen zudem die Zuchtziele „Varroatoleranz“ und gesteigerte Krankheitsresistenz oder -abwehr immer größere Bedeutung.

Die Besonderheiten bei der Bienenzucht ergeben sich aus der Biologie der Biene, die in fast allen Punkten von der Biologie anderer Nutztiere abweicht. Wichtige Stichworte in diesem Zusammenhang sind (i) die Geschlechts- und Kastendetermination, (ii) die Polyandrie der Königin, (iii) die Reproduktionsebenen Individuum und Volk sowie (iv) die soziale Immunabwehr.

Die Biene ist ein staatenbildendes, komplex eusoziales Fluginsekt. Es werden 3 „Bienenwesen“ unterschieden: die Königin, die Arbeiterin und der Drohn. Königin und Arbeiterin sind die weiblichen Tiere, die als diploide Individuen aus befruchteten Eiern schlüpfen. Die männlichen Drohnen hingegen entstehen durch Parthenogenese und schlüpfen als haploide Individuen aus unbefruchteten Eiern. Jedes Volk hat nur eine Königin, die das einzige voll entwickelte, von bis zu 20 Drohnen im Hochzeitsflug begattete, reproduktive weibliche Tier in diesem Volk darstellt. Neben der Reproduktion auf der Ebene der Individuen ist auch die Reproduktion durch ungeschlechtliche Teilung auf Volksebene (Schwärmen oder Ablegerbildung) entscheidend für das Überleben der Bienenpopulation.

Königinnenzucht, gezielte Anpaarung auf Belegstellen und künstliche Besamung sind die „Werkzeuge“ der Bienenzucht. Der Zuchtwert einer Königin wird über Leistungsprüfungen ermittelt und über die Zuchtwertschätzung für die einzelnen Merkmale quantifiziert. Die Zuchtwerte werden dann in einer Datenbank erfasst, über die die Imker oder Züchter gezielt „gute“ Königinnen oder neues, geeignetes Zuchtmaterial (z.B. Königinnenlarven, junge unbegattete, begattete oder künstlich besamte Königinnen oder Drohnensperma) bestellen können. Das Zuchtmaterial wird von den Züchtern häufig auch über Landesgrenzen oder in andere Kontinente kommerziell abgegeben. In diesem Rahmen hat die Frage nach der Übertragung von Krankheitserregern durch Zuchtmaterial eine besondere Bedeutung. Eine vertikale Übertragung von Viren durch kontaminiertes Sperma oder infizierte Eier und eine sexuelle Übertragung von Viren ist ein besonderes, bisher leider unterschätztes Problem bei der Weitergabe von entsprechendem Zuchtmaterial (Eier, Sperma) im Rahmen der Bienenzucht.

Wie allen Invertebraten fehlt auch der Biene das adaptive Immunsystem. Stattdessen erfolgt die Krankheitsabwehr im Individuum über das angeborene Immunsystem (innate immunity) und auf Volkebene über die sog. soziale Immunabwehr. Bei der Zucht auf Krankheitsresistenz spielt das sog. Hygieneverhalten gegenüber geschädigter Brut als Teil der sozialen Immunabwehr eine große Rolle. Völker, die auf ein gesteigertes Hygieneverhalten gezüchtet wurden, weisen in der Regel eine gute Erkennung und Entfernung von Larven auf, die z.B. an Amerikanischer Faulbrut erkrankt oder durch Virusinfektionen geschädigt sind. Seit einigen Jahren gibt es vermehrte Anstrengungen, genomische Marker vor allem für Krankheitsresistenz oder Varroatoleranz zu identifizieren, um bei der Biene die molekulare Selektion auf diese Merkmale zu etablieren.