Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696095
Symposien
S04  Prävention der Glücksspielsucht im Spannungsfeld von gesetzlicher Regulierung und Glücksspielindustrie: Was können Spieler- und Jugendschutzmaßnahmen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Expertise zur wissenschaftlichen Evidenz von Maßnahmen des Spieler- und Jugendschutzes:

ein systematischer Review
J Kalke
1   Institut für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD)
,
T Hayer
2   Universität Bremen, Institut für Psychologie
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Publication History

Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

Einleitung In der Expertise wird der wissenschaftliche Kenntnisstand zur Effektivität verschiedener verhaltens- und verhältnispräventiver Maßnahmen des Spieler- und Jugendschutzes in Form eines systematischen Reviews zusammengestellt. Im Fokus stehen dabei die seit 2012 geltenden Maßnahmen des Glücksspielstaatsvertrages. Zudem werden Interventionen berücksichtigt, die im internationalen Kontext Wirksamkeitsnachweise erbracht haben, bislang jedoch noch nicht in die deutsche Gesetzgebung eingeflossen sind.

Methodik In den systematischen Review sind quantitative Evaluationsstudien eingeflossen, die folgende Merkmale aufweisen: (1) mindestens Evidenzgrad III (Shekelle, 1999), d. h. die Evidenz basiert zumindest auf nicht-experimentellen, deskriptiven Primärstudien, (2) Verwendung von standardisierten Messinstrumenten und (3) Veröffentlichung der Befunde in einer peer-reviewten Fachzeitschrift. Als Outcome-Variablen dienen Nutzungsraten, Akzeptanz sowie Wissens-, Einstellungs- und Verhaltensänderungen. Weitere Einschlusskriterien umfassen das Publikationsjahr (2000 bis 2016) und die Publikationssprache (englisch- oder deutschsprachig). Die Recherche erfolgte in den Literaturdatenbanken Medline, Web of Science, Psyinfo, Psyindex, CINAHL und Cochrane. Insgesamt konnten 115 Primärstudien identifiziert und kodiert werden.

Es wurde eine Matrix entwickelt, die die Effekte einer Intervention unter Berücksichtigung der Qualität des Forschungsdesigns sowie der Interventionsart einordnet und diese nach den Evidenzstufen „keine“, „niedrig“, „mittel“ und „hoch“ zusammenfassend beurteilt. Schon bei der Einstufung „niedrig“ liegen positive Outcome-Kriterien vor.

Ergebnisse Drei Originalarbeiten bringen unter Beachtung des Forschungsdesigns und der Interventionsart eine Evidenzgüte mit sich, die als hoch einzustufen ist. Bei 29 Primärstudien wird diese mit „mittel“ bewertet. In der Zusammenschau lassen sich die positiven Effekte bei zwei Maßnahmen – Verfügbarkeitsreduktion und Spielersperre – aufgrund der Befunde in den Einzelstudien mit „mittel“ beurteilen. Bei fünf Maßnahmen sind diese zusammenfassend mit „niedrig/mittel“ einzustufen: Personalschulungen, Aufklärungsvideos, Aufklärungsprogramme für Erwachsene, schulbasierte Prävention und personalisiertes Feedback. Bei allen anderen Interventionen ist die Güte der bisher nachgewiesenen Effekte als niedrig anzusehen.

Schlussfolgerung Aus der systematischen Zusammenstellung der empirischen Befundlage für jede einzelne Intervention ergeben sich insgesamt 16 Handlungsempfehlungen, die bei einer Fortschreibung des Staatsvertrages berücksichtigt werden sollten.