Suchttherapie 2019; 20(S 01)
DOI: 10.1055/s-0039-1696224
Symposien
S37 Neurobiologie zu Verhaltenssüchten
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Konflikt zwischen limbisch vermittelten Impulsen und präfrontaler Kontrolle: Kerncharakteristik von Verhaltenssüchten?

M Brand
Universität Duisburg-Essen
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Publication Date:
03 September 2019 (online)

 

Einleitung Reizreaktivität und das Verlangen nach Substanzeinnahme in Kombination mit reduzierten Kontroll- und Steuerungsfunktionen stellen wesentliche Charakteristika stoffgebundener Süchte dar. Dual-Prozess-Theorien und neurowissenschaftliche Befunde zu stoffgebundenen Süchten lassen vermuten, dass es im Verlauf des Suchtprozesses zu einer zunehmenden Imbalance zwischen stärker werdenden limbisch vermittelten Impulsen und reduzierten präfrontal assoziierten Kontrollfunktionen kommt. Während das mit Belohnungsverarbeitung und -antizipation assoziierte ventrale Striatum ein Hauptkorrelat der frühen Stadien einer Suchterkrankung darzustellen scheint, ist das dorsale Striatum, das mit einer zwanghaften und mit kompensatorischen Effekten verbundenen Substanzeinnahme assoziiert wird, in späteren Phasen des Suchtprozesses involviert.

Methode Literatursicht und Bewertung empirischer Arbeiten bezüglich Parallelen zwischen stoffgebundenen und stoff-ungebundenen Süchten.

Ergebnisse Unlängst konnte mittels meta-analytischer Auswertung von fMRT-Studien zu Reizreaktivität und Verlangen gezeigt werden, dass ein solcher Wechsel von ventraler zu dorsaler striataler Beteiligung auch bei Verhaltenssüchten demonstrierbar ist. Ebenso weisen empirisch-experimentelle und neurowissenschaftliche Arbeiten darauf hin, dass Reizreaktivität und das subjektive Verlangen nach Ausführung eines bestimmten Verhaltens bei Personen mit Verhaltenssüchten erhöht und exekutive Funktionen, insbesondere Inhibitionskontrolle, reduziert sind. Die empirischen Befunde beziehen sich sowohl auf die Glücksspielstörung als auch auf die Computer- und Videospielstörung, das pathologische Kaufen, den problematischen Konsum von Pornografie und weitgehend auch auf die problematische Nutzung von sozialen Netzwerkseiten.

Schlussfolgerung Die empirischen Befunde unterstützen theoretische Annahmen und Modelle, die Parallelen zwischen den an stoffgebundenen Süchten und an Verhaltenssüchten beteiligten psychologischen Prozessen und neurobiologischen Mechanismen postulieren. Zusammenfassend scheinen bei den aktuell diskutierten Verhaltenssüchten Konflikte zwischen limbisch vermittelten Impulsen und präfrontaler Kontrolle Kerncharakteristika zu sein, die im Kontext von therapeutischen Interventionen berücksichtigt werden sollten.