Z Geburtshilfe Neonatol 2019; 223(S 01): E12
DOI: 10.1055/s-0039-3401098
Vorträge
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Moderater Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und Stillzeit: zwischen Abstinenznorm und sozialem Umfeld

I Radu-Minner
1   Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Forschungsstelle Hebammenwissenschaft, Winterthur, Schweiz
,
S Gouilhers
2   University of Applied Sciences and Arts Western Switzerland, School of Health Sciences, Lausanne, Schweiz
,
R Hammer
2   University of Applied Sciences and Arts Western Switzerland, School of Health Sciences, Lausanne, Schweiz
,
Y Meyer
2   University of Applied Sciences and Arts Western Switzerland, School of Health Sciences, Lausanne, Schweiz
,
J Pehlke-Milde
1   Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, Forschungsstelle Hebammenwissenschaft, Winterthur, Schweiz
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Publication History

Publication Date:
27 November 2019 (online)

 

Seit der Entdeckung des Fötalen Alkohol Syndroms (FAS) in den 70er Jahren, rückte der Alkoholkonsum schwangerer Frauen zunehmend in den Fokus der nationalen und internationalen Public Health Policies. Während FAS mit hohem Alkoholkonsum oder Rauschtrinken während der Schwangerschaft einhergeht, sind die gesundheitlichen Folgen für das Kind bei einem geringen oder moderaten Alkoholkonsum während der Schwangerschaft weniger eindeutig. Da mögliche Schäden jedoch nicht ausgeschlossen werden können, wird empfohlen den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft einzustellen. Studien zeigen jedoch, dass auf europäischer Ebene ca. 15% der Frauen weiterhin Alkohol während der Schwangerschaft konsumieren, eine Zahl die in der Schweiz auf ca. 20% geschätzt wird. Unsere Studie hat daher zum Ziel, die Risikowahrnehmung werdender Eltern in Bezug auf den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft und Stillzeit in einer soziokulturellen Perspektive zu untersuchen.

Von Dezember 2017 bis Mai 2019 wurden mit 46 Paaren aus der französisch- und deutschsprachigen Schweiz qualitative Einzelinterviews geführt. Werdende Mütter und Väter wurden während der Schwangerschaft in ihrer Landessprache befragt, wobei die Mütter zusätzlich ein zweites Mal zwischen drei und fünf Monaten nach der Geburt interviewt wurden. Die Interviews wurden transkribiert, mit Atlas.Ti inhaltsanalytisch ausgewertet und mithilfe von Synthesen erarbeitet.

Erste Ergebnisse zeigen, dass die befragten schwangeren Frauen ihren Alkoholkonsum einstellen bzw. weitgehend reduzieren. Dabei berichteten die Frauen einerseits Gefühle der Zufriedenheit, die Abstinenznorm eingehalten zu haben, andererseits wurden Situationen beschrieben, in welchen Abstinenz als Einschränkung der Soziabilität erlebt wurde. Die befragten Väter unterstützen die Entscheidung ihrer Partnerin in der Regel, stellten den eigenen Alkoholkonsum allerdings nicht ein. Es konnten zwei Strategien herausgearbeitet werden, denen die Frauen bei der Umstellung zur Abstinenz bzw. zur Reduktion des Alkoholkonsums folgten. Entweder wurde eine Obergrenze des Alkoholkonsums definiert, wie z.B. die Abstinenz oder ein regelmässiger limitierter Konsum, oder die Frauen entschieden sich situationsabhängig, ob sie Alkohol konsumieren oder nicht. Alle drei Strategien gingen mit Schuldgefühlen einher. Dabei zeigte sich auch, dass Verletzungen der Abstinenznorm häufig mit dem Partner bzw. dem näheren sozialen Umfeld verhandelt wurden und kaum Gegenstand von Beratungsgesprächen mit Fachpersonen waren.

Unsere Resultate weisen darauf hin, dass die gesundheitlichen Empfehlungen zum Alkoholkonsum bekannt sind, dass der Umgang mit Alkohol im Alltag, jedoch massgeblich vom sozialen Umfeld mitbeeinflusst wird. Diesem Umstand sollte in der Beratung durch Hebammen, Ärztinnen und Ärzten im Rahmen der Schwangerenvorsorge Rechnung getragen werden.