Z Geburtshilfe Neonatol 2019; 223(S 01): E21
DOI: 10.1055/s-0039-3401117
Vorträge
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Umgang mit Therapieentscheidungen und Therapiezieländerungen bei Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit

K Schneider
1   GFO Kliniken Bonn, Neonatologie, Bonn, Deutschland
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Publication Date:
27 November 2019 (online)

 

Hintergrund:

Pränatal, akut im Kreissaal und auf der neonatologischen Intensivstation bewegen wir uns häufig in Grauzonen medizinischen Handelns. Entsprechend der AWMV-Leitlinie „Frühgeborene an der Grenze zur Lebensfähigkeit“ sollten Therapieentscheidungen stets in Einvernehmen mit den Eltern getroffen werden („shared-decision making“). Oftmals ist dieses jedoch in Akut-Situationen nicht möglich und das Behandlerteam gelangt in einen ethischen Konflikt zwischen der Wahrung der Fürsorgepflicht und der Patientenautonomie.

Anhand von 3 Fallbeispielen von Extrem-Frühgeborenen soll gezeigt werden, wie wichtig es ist, die individuellen Wertevorstellungen von Eltern zu erfahren, um verantwortungsvolle Therapieentscheidungen aber auch Therapiezieländerungen im vermeintlichen Sinne des Patienten durchführen zu können.

Fall 1: Klara kommt mit 22+3 SSW als Sturzgeburt sowohl für die Mutter als auch für die Geburtshelfer vollkommen unerwartet zur Welt. Beim Eintreffen der diensthabenden Neonatologin, die nach 5 Minuten zur palliative Therapie des Kindes hinzugerufen wurde, fleht die Mutter plötzlich um maximale therapeutische Maßnahmen.

Fall 2: Jasin wird per Not-Sectio aufgrund einer vorzeitigen Placentalösung mit 22+5 SSW entbunden. Die Mutter ruft auf dem Weg in den OP: „Rettet mein Kind“. Ein pränatales Aufklärungsgespräch fand nicht statt.

Fall 3: Jule wird mit 23+3 SSW vaginal geboren. Ein ausführliches pränatales Aufklärungsgespräch konnte aufgrund des raschen Geburtsverlaufs nicht mehr stattfinden. Jule wird intensivmedizinisch versorgt, entwickelt im Verlauf eine hochgradige Hirnblutung und ein Multiorganversagen. Auf die erneute Frage des behandelnden Arztes an den Vater, ob er wirklich wolle, dass die Therapie fortgesetzt wird, antwortet dieser: „Warum haben Sie nicht den Mut, uns eine ehrliche Empfehlung zu geben anstatt sich fragend hinter uns zu verstecken?“

Schlussfolgerung:

Bei Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit sollten Therapieentscheidungen und Therapiezieländerungen individualisiert und in engem Dialog mit den Eltern getroffen werden. Hierbei ist es von Bedeutung, die Eltern mit Entscheidungen nicht zu überfordern, sie stets zu begleiten und gegebenenfalls zusammen mit ihnen gefallene Entscheidungen zu korrigieren oder neuen Situationen anzupassen.