Osteologie 2020; 29(01): 70-71
DOI: 10.1055/s-0039-3402885
4. Posterbegehung 4
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Warum Halswirbel nicht brechen – eine biomechanische Annäherung durch Belastungsversuche an menschlichen Wirbelkörpern eines 79-jährigen Körperspenders

G Schröder
1   Universitätsmedizin Rostock, Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Rostock, Germany
,
D Wendig
2   Klinikum Südstadt Rostock, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Rostock, Klinik für Innere Medizin I, Rostock, Germany
,
R Andresen
3   Westküstenklinikum Heide, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Kiel, Lübeck, Hamburg, Institut für Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie, Heide, Germany
,
CM Kullen
3   Westküstenklinikum Heide, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Kiel, Lübeck, Hamburg, Institut für Interventionelle Radiologie, Neuroradiologie, Heide, Germany
,
M Kipp
4   Insitut für Anatomie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Germany
,
M Schulze
4   Insitut für Anatomie, Universitätsmedizin Rostock, Rostock, Germany
,
H Martin
5   Institut für Biomedizinische Technik, Universität Rostock, Rostock, Germany
,
O Sahmel
5   Institut für Biomedizinische Technik, Universität Rostock, Rostock, Germany
,
B Jabke
6   Universität Rostock, Rostock,Germany
,
S Spiegel
6   Universität Rostock, Rostock,Germany
,
M Reichel
7   Universität Rostock, Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik, Lehrstuhl für Konstruktionstechnik/Leichtbau, Rostock, Germany
,
A Holtz
7   Universität Rostock, Fakultät für Maschinenbau und Schiffstechnik, Lehrstuhl für Konstruktionstechnik/Leichtbau, Rostock, Germany
,
Hans-Christof Schober
2   Klinikum Südstadt Rostock, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Rostock, Klinik für Innere Medizin I, Rostock, Germany
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
25 February 2020 (online)

 

Einleitung Da Halswirbelkörperfrakturen auch bei klinisch manifester Osteoporose nicht beschrieben werden, war das Ziel der vorliegenden Untersuchung, Material- und Struktureigenschaften der HWS zu erfassen, die diese Befunde erklären können.

Methode Untersucht wurde die Spongiosa aus allen 24 Wirbelkörpern der HWS, BWS und LWS eines 79-jährigen Körperspenders hinsichtlich Knochenmineralgehalt (BMD), Trabekeldicke (Tb. Th.) und deren Separation (Tb. Sp.). Darüber hinaus ermittelten wir Kräfte und Spannungen, die im Belastungsversuch zur Erzeugung einer Fraktur 1. Grades führte [1]. Mittels Jamshidi-Nadel® wurden aus allen Wirbelkörpern Proben gewonnen und jeweils mit Feuchttuch in einem 1,5 ml Eppendorf-Reaktionsgefäß vorbereitet. Die Untersuchungen wurden mithilfe eines µ-CT (SKYSCAN 1172, RJL Micro & Analytic GmbH, Deutschland) durchgeführt. Dazu wurden eine Flat-Field-Korrektur sowie ein Vergleich mit Phantomen (Referenz) einer Dichte von 0,25 g/cm3 und 0,75 g/cm3 vorgenommen. Bestehende Frakturen oder signifikante Knochenerkrankungen an der gesamten Wirbelsäule wurden durch hochauflösende CT-Aufnahmen bewertet (GE Revolution EVO/64 Zeilen CT/Schichtdicke < 1 mm). Um einen möglichst homogenen, anatomisch analogen Weichteilmantel zu simulieren, wurde das Wirbelsäulenpräparat zuvor in ein Plexiglas-Wasserphantom mit einem Durchmesser von 25 cm, möglichst luftfrei, eingebettet [2]. Zur Visualisierung der Wirbelsäulenanatomie und zur Flächenbestimmung der einzelnen Wirbel wurde eine 3-D-Rekonstruktion an einer externen Workstation (GE AW-Server® Version 2.0. Vermessung der Wirbelsäulen in GE Centricity RIS-i® Version 5.0.) durchgeführt. Die Belastungsversuche der Wirbelkörper HWK 3 bis LWK 5 wurden auf einer servohydraulischen Prüfmaschine (MTS 858, MTS Systems Cooperation, Eden Prairie, USA) durchgeführt.

Ergebnisse Der Knochenmineralgehalt der HWS ist signifikant höher als in der BWS (p = 0,011), nicht jedoch als in der LWS (p > 0,05). Die Tb. Th. der HWS ist signifikant höher als in der LWS (p = 0,042). Hinsichtlich der Tb. Sp. ließen sich keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Abschnitten der Wirbelsäule feststellen (p > 0,05). Die Kraft, notwendig zur Erzeugung einer Fraktur Grad 1, ist in allen 3 WS-Abschnitten gleich (p > 0,05), angepasst auf die Größe und Flächen der Wirbelkörper jedoch in der HWS 5-mal höher.

Diskussion Halswirbelkörper haben aufgrund einer dichteren Struktur und einer stärkeren Mineralisierung eine signifikant größere Belastbarkeit als die Brust- und Lendenwirbelkörper. Am ehesten führt die hohe biomechanische Belastung der Halswirbelkörper zu diesen Eigenschaften.

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Abb. 1 Kraft pro Fläche in den Abschnitten der Wirbelsäule
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Abb. 2 Aufzuwendende Kraft zur Erzeugung einer Fraktur Grad I in den Abschnitten der Wirbelsäule
Tab. 1

Anamnestische Daten

Parameter

Alter (Jahre)

79

Geschlecht m/w

m

Größe (cm)

168

Gewicht (kg)

52,3

Body-Mass-Index (kg/m2)

18,5

MW ± SD

Min-Max

µCT

BV/TV (%)

23,1 ± 7,2

14,6–45,2

DA (n)

0,29 ± 0,06

0,19–0,41

SMI (n)

1,64 ± 0,27

1,01–2,00

Daten ausgedrückt als Mittelwert ± Standardabweichung (MW ± SD) mit Minimum-Maximum (Min-Max) und Anzahl (n) der verfügbaren Observationen


Tab. 2

Deskriptive Statistik der QCT-Parameter

LWS

BMD (mg/cm3)

L1

L2

L3

Ø (L1–L3)

65,6

71,7

70,8

69,4

Daten ausgedrückt als Mittelwert ± Standardabweichung (MW ± SD) mit Minimum-Maximum (Min-Max)

80-110 mg/cm3 geringes Fx-Risiko

50–80 mg/cm3 m äßig erhöhtes Fx-Risiko <50 mg/cm3 deutlich erhöhtes Fx-Risiko (Felsenberg D, Gowin W. Bonedensito-metryby dual energymethods. Radiologe 1999; 39: 186 – 93)


Keywords Biomechanik, Wirbelsäule Knochendichte, Mikro-CT, Trabekeldicke, Trabekelseparation

Korrespondenzadresse Guido Schröder, Universitätsmedizin Rostock, Abteilung für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Schillingallee 35, 18057 Rostock, Deutschland,

E-Mail guido.schroeder1@gmx.net