Osteologie 2021; 30(01): 74
DOI: 10.1055/s-0040-1722143
2. Abstracts

Diffuse Extremitätenschmerzen als Leitsymptom bei einer Patientin mit myeloproliferativer Neoplasie

S Radmer
1   Zentrum für Bewegungsheilkunde, Facharztpraxis für Orthopädie, Berlin
,
JR Andresen
2   Fakultät für Medizin, Sigmund-Freud-Privatuniversität, Wien
,
R Andresen
3   Westküstenklinikum Heide, Akademisches Lehrkrankenhaus der Universitäten Kiel, Lübeck und Hamburg, Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie/Neuroradiologie, Heide
› Author Affiliations
 

Einleitung Myeloproliferative Neoplasien (MPN) sind seltene bösartige Erkrankungen des Knochenmarks, bei denen zu viele Erythrozyten, Leukozyten und/oder Thrombozyten gebildet werden. Zu den häufigsten Formen gehören die Polyzythämia vera, essentielle Thrombozythämie und die primäre Myelofibrose. Die massive Bildung an sich funktionstüchtiger Blutzellen kann in der Folge verschiedene Komplikationen verursachen wie z.B. venöse und/oder arterielle Thrombosen, oder eine erhöhte Blutungsneigung. Die klinischen Symptome sind am Beginn der Erkrankung häufig unspezifisch, hierzu gehören neben Fatigue, Schwindel, Nachtschweiß und Gewichtsverlust auch Schmerzen in den Extremitäten.

Methode Wir berichten über eine 59-jährige Patientin, welche sich mit diffusen Schmerzen im Bereich der Extremitäten, Gewichtsverlust und Fatigue in unserer Sprechstunde vorstellte. Anamnestich sowie laborchemisch bestand kein Anhalt für das Vorliegen einer rheumatischen Erkrankung, auffallend war eine Polyglobulie sowie Thrombozytose. Die Familienanamnese ergab, dass der 65-jährige Bruder an einer primären Myelofibrose erkrankt war.

Ergebnisse Klinisch zeigte sich eine Patientin in reduziertem Allgemein- und Ernährungszustand, es bestanden diffuse Extremitätenschmerzen mit Punctum maximum in der rechten Tibia. Im konventionellen Röntgenbild der Tibia ergab sich kein Anhalt für eine Knochenpathologie. Im MRT zeigte sich im Knochenmark eine langstreckige, ödemäquivalente Signalalteration ohne Anhalt für eine weitere ossäre Destruktion oder Periostitis. In der 3-Phasen-Skelettszintigraphie fand sich keine Radionuklidmehrbelegung. Laborchemisch sowie in der farbkodierten Duplexsonographie ergab sich kein Anhalt für eine Phlebothrombose. Klinisch fand sich kein Anhalt für eine arterielle Verschlußkrankheit. Die parenchymatösen Oberbauchorgane stellten sich in der Sonographie unauffällig dar. In der weiterführenden Labordiagnostik fand sich eine Erythro- und Thrombozytose. Die mittels Beckenkammbiopsie gewonnene histologische Knochenmarkanalyse zeigte eine Clusterbildung von Megakaryozyten ohne Hinweis für eine Blastenvermehrung oder Fibrose. Die molekulargenetische Untersuchung ergab eine JAK2 V617F-Mutation, welche ebenfalls beim Bruder nachgewiesen wurde. Unter einer Therapie mit dem JAK2-Tyrosinkinaseinhibitor Ruxolitinib (2 x 10 mg/die) kam es zu einer Besserung des Allgemeinzustandes mit gleichzeitigem Abfall der Erythro- und Thrombozytenzahlen.

Diskussion Patienten mit diffusen Extremitätenschmerzen müssen hinsichtlich einer entzündlichen oder malignen Erkrankung differentialdiagnostisch weiter abgeklärt werden. Eine zusätzliche Erythro- und Thrombozytose kann hinweisend auf das Vorliegen einer beginnenden MPN sein. Die bei unserer Patientin vorliegende primäre Myelofibrose ist nach dem derzeitigen Stand der Forschung nicht vererbbar, in Einzelfällen ist jedoch, wie in unserem Fall, eine familiäre Häufung möglich.

Keywords JAK2-Mutation, Knochenmark, Knochenschmerz, myeloproliferative Neoplasie, primäre Myelofibrose

Korrespondenzadresse Sebastian Radmer, Zentrum für Bewegungsheilkunde, Facharztpraxis für Orthopädie, Bozener Str. 17, 10825 Berlin, Deutschland

E-Mail sebastian@dr-radmer.de



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Article published online:
05 March 2021

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