Dtsch Med Wochenschr 2015; 140(02): e14-e20
DOI: 10.1055/s-0041-100007
Fachwissen
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag Stuttgart

Wie schätzen stationäre Patienten mit türkischem Migrationshintergrund die Kultursensibilität in einem deutschen Krankenhaus der Maximalversorgung ein?

Eine Untersuchung zur Religionsausübung, Ernährung und geschlechtsspezifischen VersorgungHow do Turkish immigrants evaluate cultural sensitivity in a German tertiary hospital? An assessment concerning aspects of religious practice, nutrition and gender-specific provision of medical care.
Arnd Giese
1   Medizinische Klinik I (Innere Medizin), Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
2   Medizinische Klinik I, St. Josef-Hospital Bochum, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
,
Müberra Uyar
1   Medizinische Klinik I (Innere Medizin), Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
,
Bernhard F. Henning
1   Medizinische Klinik I (Innere Medizin), Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
,
Haci H. Uslucan
3   Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung, Institut an der Universität Duisburg-Essen
,
Timm Westhoff
1   Medizinische Klinik I (Innere Medizin), Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
,
Nikolaos Pagonas
1   Medizinische Klinik I (Innere Medizin), Marienhospital Herne, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum
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Publication History

Publication Date:
22 January 2015 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung | Eine kultursensible Behandlung von Migranten ist ein Ziel im deutschen Gesundheitssystem. Quantitative Daten zum Ist-Zustand aus Sicht der Krankenhauspatienten fehlten bislang.

Patienten und Methoden | Stationäre Patienten mit türkischem Migrationshintergrund (T, n = 121) und deutsche Patienten (D, n = 121) eines Krankenhauses der Maximalversorgung wurden in ihrer Muttersprache befragt.

Ergebnisse | 97,5 % der T waren Muslime, 82,6 % der D waren Christen. Mit 88,5 % war der großen Mehrheit der T Religion „wichtig“ oder „sehr wichtig“ (D: 35,8 %). 50,8 % der T hielten die im Krankenhaus gebotenen Möglichkeiten zu beten für „schlecht“ oder „sehr schlecht“ (D: 0,9 %). Für 90 % der T war es „ziemlich“ oder „äußerst“ schwierig, islamische Ernährungsgebote im Krankenhaus einzuhalten. 79,0 % der weiblichen T war gleichgeschlechtliche Pflege „ziemlich“ oder „äußerst“ wichtig, bei männlichen T waren es immerhin noch 40,0 % (weibliche D: 36,3 %, männliche D: 7,7 %). Wenn gleichgeschlechtliche Pflege nicht möglich war, gaben 69,7 % der weiblichen T an, dass für sie die Anwesenheit einer Frau bei Untersuchungen und Behandlungen „ziemlich“ oder „äußerst“ wichtig sei (weibliche D: 25,4 %, männliche T: 28,9 %, männliche D: 6,1 %). Eine retrospektive Auswertung ergab, dass 5,8 % aller 8988 im Krankenhaus im Befragungszeitraum aufgenommenen Patienten einen türkischen Migrationshintergrund hatten.

Folgerungen | Um den Bedürfnissen von T gerecht zu werden, sollten Krankenhäuser die Möglichkeit zum Gebet für Muslime verbessern, die Zusammenarbeit mit islamischen Geistlichen anstreben und durch geeignete Kennzeichnungen oder eine Umstellung des Speiseplanes die Einhaltung islamischer Ernährungsgebote vereinfachen. Weibliche, aber auch männliche T wünschten sich vermehrt eine gleichgeschlechtliche pflegerische und ärztliche Betreuung.

Abstract

Background | Culturally adequate medical care is a goal in Germany, but quantitative data concerning inpatients is lacking.

Methods | Inpatients of a German tertiary hospital: Turkish migrants (T) and Germans (G) were interviewed in their respective native language.

Results | 121 T and 121 G were interviewed. 97.5 % of T were Muslims, 82.6 % of G were Christians. 88.5 % of T judged religion as „important“ or „very important“ (G: 35.8 %). 50.8 % of T saw their opportunity to pray in the hospital as „bad“ or „very bad“ (G: 0.9 %). Keeping to Islamic dietary rules in the hospital was „difficult“ or „very difficult“ for 90 % of T. For 79.0 % of female T care by a same-sex staff was „important“ or „very important“ (female G: 36.3 %, male T: 40.0 %, male G: 7.7 %). The presence of a same-sex person during examinations or treatments was „much“ or „very much“ appreciated by 69.7 % of female T, if same-sex care was impossible (female G: 25.4 %, male T: 28.9 %, male G: 6.1 %). A retrospective analysis revealed that 5.8 % of all 8988 hospital admissions during the period of study recruitment were Turkish migrants.

Conclusion | To meet the needs of Turkish migrants German hospitals should improve the opportunity for Muslims to pray. Additionally, the cooperation with local imams should be sought. Precise descriptions of food ingredients or an adapted menu could help T to deal with Muslim dietary commandments. A culturally sensitive hospital should take into account that female as well as male T prefer to be cared of by same-sex physicians and nurses.

Supporting Information

 
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