Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2016; 51(01): 8-16
DOI: 10.1055/s-0041-103160
Fachwissen
Anästhesiologie & Intensivmedizin
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Patient mit intraabdomineller Hypertension – Was gilt es beim anästhesiologischen Management zu beachten?

The patient with intra-abdominal hypertension
Samir G Sakka
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Publication Date:
10 February 2016 (online)

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Zusammenfassung

Eine intraabdominelle Hypertension (IAH) definiert als ein pathologischer Anstieg des intraabdominellen Drucks (intra-abdominal pressure, IAP) ist bei vielen Patienten bei Aufnahme auf eine Intensivstation oder im Verlauf einer Intensivbehandlung nachweisbar. Verschiedene Studien erbrachten, dass eine IAH ein unabhängiger Prädiktor für eine erhöhte Sterblichkeit kritisch kranker Patienten ist. Das abdominelle Kompartmentsyndrom (abdominal compartmentsyndrome, ACS), das als anhaltender IAP >20 mmHg (mit oder ohne einem abdominellen Perfusionsdruck [abdominal perfusion pressure, APP]<60mmHg) und einer neuen Organdysfunktion bzw. einem Organversagen definiert ist, geht mit einer Sterblichkeit von bis zu 60% einher. Eine IAH kann durch eine Reihe abdomineller und extra-abdomineller Ursachen bedingt sein. Eine reduzierte Bauchwandcompliance, intraabdominelle Pathologien (sowohl der Peritonealhöhle als auch der parenchymatösen Organe) können eine IAH auslösen. Häufig sind intra-abdominelle Infektionen und/oder eine Sepsis bzw. ein schweres Trauma oder Verbrennungen die prädisponierenden Faktoren für eine IAH. Eine abnehmende Urinausscheidung kann ein Frühwarnsignal sein. Die Auswirkungen eines erhöhten IAP auf die kardiovaskulären Funktionen sind gut beschrieben und umfassen die negativen Effekte auf Vorlast, Nachlast und Kontraktilität. Da alle anderen Kompartimente des Körpers ebenfalls von einer IAH betroffen sind und es zu einer Zunahme des entsprechenden Kompartmentdrucks, z.B. des intrakraniellen Drucks, kommt, spricht man vom sog. Poly-Kompartmentsyndrom. Eine geeignete Prophylaxe und vorausschauende Therapie unter Nutzung objektiver Messmethoden können eine IAH oder ein ACS verhindern bzw. frühzeitig erkennen lassen. Letztlich kann nur eine umgehende und konsequente Ausschöpfung sämtlicher konservativer, interventioneller und chirurgischer Therapieoptionen den mit einer hohen Letalität verbundenen Sekundärschaden verhindern.

Abstract

An intra-abdominal hypertension (IAH) defined as a pathological increase in intra-abdominal pressure (IAP) is commonly found on ICU admission or during the ICU stay. Several studies confirmed that an IAH is an independent predictor for mortality of critically ill patients. The abdominal compartment syndrome (ACS) which is defined as a sustained IAP>20 mmHg (with or without an abdominal perfusion pressure [APP]<60mmHg) that is associated with new organ dysfunction or failure has a mortality of up to 60%. In general, an IAH may be induced by several intra-abdominal as well as extra-abdominal conditions. Reduced abdominal wall compliance, intra-abdominal pathologies (either of the peritoneal space or parenchymateous organs) may lead to an IAH. Most commonly, intra-abdominal infections and/or sepsis and severe trauma or burns are predisposing for an IAH. An early sign may be a decrease in urinary output. The effects of an increased IAP on cardiovascular function are well recognized and include negative effects on preload, afterload and contractility. However, all other compartments of the body may be affected by an IAH. Thus, by an increase of the respective compartment pressure, e.g. intracranial pressure, a poly-compartment syndrome may result. Adequate prevention, a forward-looking strategy, and objective techniques for measurement of IAP are required to avoid or early detect an IAH or ACS. Finally, an immediate and consequent interdisciplinary management using conservative, interventional and operative options are necessary to solve an IAH or ACS.

Kernaussagen

  • Man spricht von einer intraabdominellen Hypertension (IAH), wenn der intraabdominelle Druck (IAP) ≥ 12 mmHg in mind. 2 standardisierten Messungen mit einem Abstand von 4–6 h beträgt.

  • Das Ausmaß einer IAH wird in 4 Schweregrade eingeteilt von Grad I (IAP 12–15 mmHg) bis Grad IV (IAP ≥25 mmHg).

  • Als abdominelles Kompartmentsyndrom (ACS) bezeichnet man das Vorliegen eines IAP > 20 mmHg (mit oder ohne einem abdominellen Perfusionsdruck < 60 mmHg) und das Auftreten eines neuen Organversagens.

  • Einer intraabdominellen Druckerhöhung können direkte oder indirekte Ursachen (Abnahme der Bauchwandcompliance, wie z. B. bei Blutungen, Sepsis, Verbrennung) zugrunde liegen.

  • Es können ein primäres, sekundäres oder tertiäres ACS unterschieden werden. Letzteres ist i. d. R. mit einer besonders hohen Mortalität assoziiert.

  • Das sog. Polykompartment-Modell beschreibt die Beeinträchtigung weiterer Körperhöhlen und Organsysteme infolge einer Drucktransmission bei erhöhtem IAP.

  • Ein erhöhter IAP besteht bei einer Vielzahl an Patienten bei Aufnahme auf eine Intensivstation bzw. entwickelt sich im weiteren Verlauf und hat eine signifikante pro-gnostische Bedeutung.

  • Die klinische Einschätzung des IAP ist unzureichend genau. Zur objektiven und validen Erfassung bedarf es der apparativen Druckmessung.

  • Die transvesikale Druckmessung ist das Standardverfahren zur IAP-Bestimmung.

  • Dynamische Vorlastparameter und Passive Leg Raising zur Abschätzung der Volumenreagibilität sind bei erhöhtem IAP nur von begrenzter Aussagekraft.

  • Neben den häufig lebensrettenden operativen Interventionen kann eine Sonografie- oder CT-gestützte Punktion oder Drainageanlage eine sinnvolle geringinvasive Therapieoption bei liquiden Prozessen sein.

  • Die verschiedenen diagnostischen und therapeutischen Schritte wurden in internationalen Empfehlungen gemäß ihrer wissenschaftlichen Evidenz bewertet und es wurde ein Behandlungsalgorithmus entwickelt.

Ergänzendes Material