Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(10): 543
DOI: 10.1055/s-0041-107448
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Posttraumatische Belastungsstörung – ein interdisziplinäres Thema für Neurologen und Psychiater

Posttraumatic Stress Disorder – an Interdisciplinary Problem for Psychiatrists and Neurologists
G. R. Fink
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Publication Date:
20 November 2015 (online)

Die Begutachtung von Probanden ist eine äußerst anspruchsvolle und wichtige Aufgabe für niedergelassene und in der Klinik tätige Neurologen und Psychiater. Die Herausgeber der Fortschritte Neurologie Psychiatrie haben deswegen wichtige Themen der Begutachtung zum Gegenstand der Fort- und Weiterbildungsartikel gemacht, die die Fortschritte Neurologie Psychiatrie regelmäßig veröffentlichen. Dies trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht nur einfache gutachterliche Fragestellungen, wie zum Beispiel eine periphere Nervenläsion, zum Alltag der Begutachtung gehören, sondern meist komplexe interdisziplinäre Fragestellungen, die oft sowohl neurologische als auch psychiatrische Aspekte umfassen und somit eine fachübergreifende Sicht und Beurteilung auf neuropsychiatrischem Gebiet erfordern. Verkompliziert wird der Sachverhalt durch ein komplexes, dem Nicht-Juristen oft auch schwer zugängliches Rechtssystem, in dem sich zurechtzufinden selbst dann nicht einfach ist, wenn man über Jahre mit dem Verwaltungs- und Sozialrecht wie auch dem Zivil- und Strafrecht zu tun gehabt hat.

In der aktuellen Ausgabe der Fortschritte berichten Dreßing und Foerster [1] über die Begutachtung bei posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) und gehen dabei natürlich auch auf die wesentlichen Unterschiede bzgl. straf-, sozial- und zivilrechtlicher Aspekte ein. Der Begriff der PTBS wurde infolge der Erfahrungen des Vietnamkriegs in das DSM-III-Klassifikationssystem eingeführt. Er erfährt seitdem immer wieder einen unkritischen und leider eben auch inflationären Gebrauch – hinzu kommt eine diagnostische Unsicherheit, da ICD-10 und DSM-5 unterschiedliche diagnostische Kriterien anführen. Der Fort- und Weiterbildungsartikel sei deswegen ausdrücklich allen Lesern zur Lektüre empfohlen, lernt man doch nicht nur Wichtiges zur Begutachtung der PTBS, sondern über die PTBS und ihre Differenzialdiagnosen im Allgemeinen. Hinzu kommt: Die Arbeit von Dreßing und Foerster ist vor dem Hintergrund der aktuell anschwellenden Zahl an Migranten und Asylsuchenden auch besonders zeitgemäß. So beschäftigen sich die Autoren auch mit dem schwierigen Problem der Simulation und Aggravation bei PTBS, einer Frage, die in der klinischen Erstversorgung vieler Migranten praktische Relevanz (und natürlich auch rechtliche Konsequenzen) hat.

Last but not least: Auch Neurologen werden regelmäßig im Rahmen von Begutachtungen mit der Frage des Vorliegens einer PTBS konfrontiert. So schwanken die Angaben zur Häufigkeit des Vorliegens einer PTBS ein Jahr nach einem Verkehrsunfall zwischen 2 und 15 % und auch bei Arbeitsunfällen werden psychoreaktive Störungen und PTBS immer wieder diskutiert. Insofern wünsche ich allen Lesern der Fortschritte Neurologie Psychiatrie eine hilfreiche Fort- und Weiterbildungslektüre.