physiopraxis 2015; 13(11/12): 66-71
DOI: 10.1055/s-0041-108684
physiospektrum
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Publication Date:
27 November 2015 (online)

Faszienforum – Faszientee und Faszilator

„Faszien wurden aus ihrem Aschenputtel-Dasein wachgeküsst und genießen seit geraumer Zeit die Privilegien einer Prinzessin“, erklärte Robert Schleip gleich zu Beginn des zweitägigen Faszienforums, das im Oktober 2015 in Hamburg und Freiburg stattfand. In seinem Vortrag relativierte der renommierte Faszienforscher allerdings den aktuellen Faszien- Hype, indem er klarstellte, dass sie lediglich die kleine Schwester der Muskeln und des Nervensystems seien. Er erläuterte ihre Konsistenz mit Umschreibungen wie Frischhaltefolie, Pelle einer Weißwurst oder klebriges farbloses Gewebe und stellte das Tensegrity-Modell (S. 42) vor, bei dem sich die Knochen nicht berühren, sondern von den Weichteilen – unter anderem den Faszien – an Ort und Stelle gehalten werden. Zudem zeigte sich Schleip als selbstkritischer Redner und stellte die vier Faszienirrtümer der Vergangenheit vor, an deren Entstehung er teils mitgewirkt hatte.

In den Workshops versuchten sich die Teilnehmer beim Faszientraining geschmeidig von einer Position in die nächste zu bewegen und rollten ihre Faszien über Bälle und Rollen, trainierten die sensomotorischen Fähigkeiten ihrer Faszien durch Rücken-an-Rücken-Spürübungen und verbesserten deren Speicherkapazität durch federnde Kniebeugen mit Gewichten und Therabändern. In der Pause standen Thermosflaschen mit Faszientee bereit und der Faszilator, ein Faszientherapiegerät, das einem Polier- oder Schleifgerät aus dem Baumarkt sehr ähnlich sieht.

Kritische Fragen aus dem Publikum bezüglich Evidenz beantwortete der ebenfalls anwesende Tom Myers, Faszienexperte aus den USA und Autor des Buches „Anatomy Trains“, damit, dass er kein Forscher, sondern Kliniker sei. Man müsse geduldig sein, was künftige Forschung an Ergebnissen liefere, und zudem stecke er fest, wenn er nur evidenzbasiert arbeiten würde. Robert Schleip hingegen ermutigte die Teilnehmer, hungrig auf Neues zu bleiben, nach Literatur zu suchen und an Dogmen zu rütteln. So heterogen sich die Faszienszene hinsichtlich ihrer Meinungen zeigte, so homogen war sie am Ende: Standing Ovations für Tom Myers.

smo