Fortschr Neurol Psychiatr 2015; 83(11): 605
DOI: 10.1055/s-0041-109724
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Der Mensch im Mittelpunkt – Chancen der individualisierten Psychiatrie und Psychotherapie

Focussing on the Individual - Opportunities for a Personalised Psychiatry and Psychotherapy
P. Falkai
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Publication Date:
03 December 2015 (online)

Diese Ausgabe ist dem Motto des diesjährigen DGPPN-Kongresses „Der Mensch im Mittelpunkt: Versorgung neu denken“ gewidmet. Mit diesem Thema will die Fachgesellschaft Anstöße geben, um die Versorgungssituation von Menschen mit psychischen Erkrankungen zu evaluieren und Möglichkeiten zur Optimierung bzw. Weiterentwicklung aufzuzeigen. Dabei wird es u. a. um zwei Schwerpunktsetzungen gehen.

Einerseits werden neue Versorgungsmodelle diskutiert und auf ihre Praktikabilität hin überprüft. So gibt es sehr gute Ansätze, insbesondere Schwerstkranke in einem multiprofessionellen Netzwerk betreuen zu können. Dies führt optimalerweise zu besseren Outcome-Parametern bezüglich der Erkrankung und gleichzeitig zu Einsparung von Ressourcen. Ein interessanter Ansatz dieser Art wurde von den Kollegen Prof. Dr. Martin Lambert und Prof. Dr. Thomas Bock in Hamburg für Patienten mit psychotischen Erkrankungen entwickelt. Ein weiteres Denkmodell ist die enge Verzahnung von Facharztpraxen für Psychiatrie und Psychotherapie, die den Patienten eine gestufte Versorgung bieten wollen und zudem eine Lotsenfunktion erfüllen sollen, damit insbesondere Patienten mit längeren Krankheitsverläufen ihren Weg durch die Instanzen des Versorgungssystems meistern können.

Ein zweiter sehr wichtiger Aspekt in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist der Versuch, eine individualisierte Therapie im Sinne einer „Präzisionsmedizin“ umzusetzen. Dies bedeutet, dass wir mithilfe von zusätzlichen Markern, die zunächst einmal klinische und neuropsychologische Daten umfassen, früh im Behandlungsverlauf nach unterschiedlichen Verlaufstypen stratifizieren können. Darauf aufbauend können dann die Therapieangebote so abgestimmt werden, dass den einzelnen Subgruppen besser, effektiver und längerfristig geholfen werden kann. Dass ein solcher Ansatz auch in der Breite bei der Versorgung von Menschen mit einer schizophrenen Psychose hilft, konnte kürzlich im Rahmen der sogenannten „Navigate-Studie“ unter der Leitung von Prof. Dr. John Kane gezeigt werden. Durch den gezielten Einsatz einer adäquaten pharmakologischen Therapie in Kombination mit Psychoedukation und Einbezug der Familienmitglieder in die Therapie sowie durch die gezielte Vermittlung einer Arbeitstätigkeit konnte die Lebensqualität der Betroffenen im Vergleich zur Gruppe der Patienten mit üblichen Behandlungsbedingungen signifikant verbessert werden. Bemerkenswerterweise war dieser positive Effekt bei denjenigen Patienten besonders ausgeprägt, bei denen der Zeitraum der unbehandelten Psychose weniger als 72 Wochen betragen hatte. Mit diesem Parameter hätte man eine Möglichkeit, gezielt eine Subgruppe herauszugreifen, die besonders von einer hier genannten komplexen Intervention profitiert und somit langfristig einen günstigeren Behandlungsverlauf nehmen kann.

Mit dem Thema Versorgungsmodelle steht eine der zentralen Zukunftsaufgaben für unsere Gesellschaft im Zentrum, die gerade das Fach Psychiatrie und Psychotherapie entscheidend beschäftigen wird. Ich bin davon überzeugt, dass die Beiträge des vorliegende Hefts Ihnen nicht nur Informationen zum DGPPN-Kongress 2015 und seinem Themenschwerpunkt liefern, sondern zudem zu intensiven Diskussionen zum Thema Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen anregen werden, was in der Folge die Optimierung dieser Versorgung vorantreiben wird.

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Prof. Dr. med. Peter Falkai