Journal Club AINS 2016; 5(03): 156-159
DOI: 10.1055/s-0041-110893
Leitlinien in der Praxis
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Lagerung und Frühmobilisation in der Intensivmedizin - Die Revision der S2e Leitlinie

Thomas Bein
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Publication Date:
15 September 2016 (online)

Lange galten die tiefe Sedierung und Immobilität des kritisch kranken Patienten als unvermeidliche Effekte der immer erfolgreicher agierenden Organersatztherapie in der Intensivmedizin. Allerdings beschäftigten sich vereinzelte klinisch-wissenschaftliche Forschungsprojekte seit den 1970er Jahren mit den Möglichkeiten, intensivmedizinische Patienten einem Lagerungswechsel oder einer Mobilisierung zu unterziehen. Diese Bemühungen blieben bis vor einigen Jahren ohne klinisches Echo, sodass die weit überwiegende Realität der (tief) sedierte, bewegungslose Patient war. Durch physiologische und bildgebende Untersuchungen in den 1990er Jahren [1] und multizentrische Studien zum Effekt der Bauchlagerung kam „Bewegung“ in den Intensivpatienten. Dies führte u. a. 2008 zu einer durch die DGAI in Auftrag gegebene S2-Leitlinie „Lagerungstherapie zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen“. Da in den letzten Jahren auch zunehmend Publikationen prospektiv-randomisierter Studien zur (frühen) Mobilisierung des Intensivpatienten erschienen, nahm die Leitliniengruppe die Notwendigkeit einer Revision der Leitlinie [2] zum Anlass, das Thema „Frühmobilisation“ einzubeziehen. Im Folgenden werden die wesentlichen Aussagen dargestellt und kritisch diskutiert.

Kernaussagen

  • Frühzeitige und ausreichend lange Beatmung in Bauchlage steigert die Überlebensrate von Patienten mit ARDS (PaO2/FIO2 < 150).

  • Beatmung in Bauchlage per se ist Lungenprotektion! Dieser Aspekt steht neben der Steigerung der Oxygenierung zunehmend im Fokus.

  • Die Oberkörper-Hochlagerung wird nicht mehr als „rigide Anordnung“ einer halbsitzenden 45°-Position empfohlen, sondern erfährt individuelle Anpassungen (30–45°, Beachtung von unerwünschten Effekten).

  • Die klinisch-wissenschaftliche Einordnung der Frühmobilisation leitet einen generellen Wandel in der Behandlung von kritisch kranken Patienten ein.

  • Frühmobilisation als Bündel von passiven und aktiven Bewegungsübungen soll innerhalb von 72 h nach Aufnahme begonnen und schrittweise gesteigert werden.

  • Ein interdisziplinär abgestimmtes Konzept zur Frühmobilisation mit Festlegung von Ein- und Ausschlusskriterien, Risikoprofilen und routinierter Durchführung gewährleistet den Erfolg und hilft, das Risiko für den Patienten zu minimieren.

 
  • Literatur

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