Z Gastroenterol 2016; 54(02): 177
DOI: 10.1055/s-0042-100506
Nachruf
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

In memoriam Professor Dr. med. Gerhard Rettenmaier
9. April 1929 –7. Dezember 2015

Karlheinz Seitz
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Publication Date:
15 February 2016 (online)

Gerhard Rettenmaier wuchs als Sohn eines „Wengerters“ in Obertürkheim auf und erlebte die Schrecken des Krieges als Gymnasiast in Stuttgart und zuletzt als jugendlicher Soldat. Nach Kriegsende und Abitur studierte er von 1949–1952 an der Esslinger Hochschule für Kirchenmusik. Nach abgelegter B-Prüfung für Chorleiter und Orgel entschloss er sich zum Studium der Medizin von 1952–1957 in Tübingen und Kiel. Nach ersten Stationen als Assistenzarzt, darunter an der Universitäts-Hautklinik Tübingen bei Professor Heinrich Gottron, ging er von 1961–1965 als wissenschaftlicher Assistent zu Professor Hans Glatzel an das Max-Planck-Institut für Ernährungsphysiologie in Dortmund. 1965 erfolgte der Wechsel an die Medizinische Universitätsklinik Erlangen, an der er zunächst unter Professor Norbert Henning, ab 1966 unter Professor Ludwig Demling als wissenschaftlicher Assistent, später als Oberarzt tätig war. 1973 habilitierte sich Gerhard Rettenmaier mit dem Thema „Lebersonographie – Quantitative Auswertung bei diffusen Lebererkrankungen“, ein Thema, das bis heute wissenschaftlich aktuell geblieben ist. Von 1973–1994 wirkte er als Chefarzt an der Medizinischen Klinik des Kreiskrankenhauses Böblingen. 1981 erhielt er eine apl. Professur an der Medizinischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen.

Zu Recht gilt Gerhard Rettenmaier als Pionier und Vater der internistischen Sonografie in Deutschland. Er hat mit dem in jener Zeit schwer zu handhabenden Ultraschallgerät (Vidoson) als anfangs oft belächelter Einzelkämpfer die Real-Time-Sonografie gegen viele Vorurteile – neben den damals von der Erlanger Klinik ausgehenden endoskopischen Innovationen – in Wissenschaft und Praxis etabliert. Sein Aufsatz in „Der Internist“ über den „Sonografischen Oberbauchstatus“ brachte 1976 für ihn und für die Methode den Durchbruch und machte Böblingen für viele Jahre über Deutschland hinaus zum Mekka der Ultraschalldiagnostik. Etwa 2000 Kolleginnen und Kollegen pilgerten nach Böblingen, durchliefen sein Kurssystem, das auch heute nach 40 Jahren noch nahezu unverändert praktiziert wird. Sein legendärer Kernsatz, „Die Ultraschalldiagnostik ist die Fortsetzung der körperlichen Untersuchung mit technischen Mitteln“, führte zu einem Paradigmenwechsel in der Inneren Medizin: die Sonografie wurde zu einem unentbehrlichen klinischen Werkzeug in allen Bereichen der Inneren Medizin einschließlich der Notfallmedizin und machte zahlreiche Röntgenuntersuchungen entbehrlich.

Gerhard Rettenmaier war Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (DEGUM), die in 40 Jahren von 15 auf nahezu 10 000 Mitglieder angewachsen ist. Er war 2-mal Präsident der DEGUM und 1980 einer der Gründungsherausgeber der inzwischen hochangesehenen Zeitschrift „Ultraschall in der Medizin“. Als Mitherausgeber und Autor machte er die 2-bändige „Sonografische Differenzialdiagnose“ 1991 zu einem Standardwerk der internistischen Sonografie. Seine wissenschaftliche Arbeit wurde durch die Ehrenmitgliedschaft in der DEGUM und mehrerer internationaler wissenschaftlicher Gesellschaften, nicht zuletzt durch die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes gewürdigt.

Gerhard Rettenmaier war ein exzellenter Kliniker und sah sich eher als Internist alter Schule mit fundiertem gastroenterologischen Wissen denn als „spezialisierter“ Gastroenterologe. Sicherlich war diese Sichtweise eine Folge seiner intensiven Beschäftigung mit der Sonografie, die immer auch die Organe anderer internistischer Teilgebiete darstellt. Er war ein überaus gefragter Referent, der rhetorisch und didaktisch begeistern konnte. Die Patienten schätzten seine Empathie und seine regelmäßig stattfindenden ausführlichen Visiten, die Mitarbeiter seine Präsenz in der Klinik und seine klinischen Kenntnisse, die er gerne weitergab. Er verfügte aufgrund seiner Kompetenz über eine natürliche Autorität.

Er besaß eine ungewöhnlich breite und fundierte Allgemeinbildung, pflegte eine sehr bildhafte Sprache und schätzte das vornehme britische und hanseatische Understatement. Gerne nahm er sich Zeit für ein Gespräch über Kunst, Musik und Kultur. Sein sehenswerter, artenreicher Garten und das Spielen auf der im Haus eingebauten Orgel bildeten nach seiner Pensionierung seinen Lebensmittelpunkt. Auch das Schreiben und die Medizin haben ihn nicht ganz losgelassen; gelegentlich versorgte er seine Freunde mit Lebenserinnerungen und kritischen Essays über das ärztliche Handeln. Die letzten Jahre sind für ihn gesundheitlich hart gewesen, zahlreiche aneinandergereihte Krankenhausaufenthalte waren eine schwere, aber mit großer Geduld ertragene Prüfung.

Wir blicken zurück auf ein großes Lebenswerk. Gerhard Rettenmaiers Beiträge zur Sonografie stellen einen Meilenstein in der Entwicklung der Inneren Medizin dar; dies gilt in besonderem Maße für unser Fachgebiet Gastroenterologie und Hepatologie. Wir trauern mit seiner Familie und verabschieden uns von einem beeindruckenden Menschen, einer Persönlichkeit mit vielen Begabungen, von einem vorbildlichen Lehrer und Arzt und von einem Freund.

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Gerhard Rettenmaier