Der Klinikarzt 2016; 45(02): 55
DOI: 10.1055/s-0042-101003
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Biotechnologie – nicht nur medizinisch interessant

Achim Weizel
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Publication Date:
21 March 2016 (online)

Der Pharmamarkt hat sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verändert. Mit den Generika und den biotechnologisch hergestellten Präparaten sind Substanzen auf den Markt gekommen, die zunehmend die Originalpräparate ersetzen oder ergänzen. So waren 76 % aller über die Krankenkassen abgegebenen Arzneimittel im Jahr 2014 Generika. Der Prozess des Ersatzes von Originalpräparaten zugunsten der Generika erscheint im Moment weitgehend abgeschlossen.

Ungebremst dagegen ist weiterhin der zunehmende Einsatz der biotechnologischen Medikamente. Neben den klassischen Entwicklungen von Medikamenten in den Chemielabors großer Pharmafirmen treten damit zunehmend Präparate ins Blickfeld, die biotechnologisch, das bedeutet mithilfe gentechnologisch veränderter Organismen, hergestellt werden. Im Jahre 2014 wurden in Deutschland Biopharmazeutika im Wert von 7,5 Milliarden Euro umgesetzt, das entspricht 22 % des gesamten Pharmamarkts. Insgesamt waren 29 % der Neuzulassungen im Jahr 2014 Biotechnologika, eine Steigerung um 50 % seit 2005. Der Trend ist hier unverkennbar. Insgesamt waren Ende 2014 alles in allem 226 Biopharmazeutika auf dem deutschen Markt zugelassen. Diese verteilen sich auf verschiedene Indikationsgebiete. Am häufigsten werden die Präparate eingesetzt im Bereich der Immunologie (TNF-alpha-Inhibitoren), Onkologie (Monoklonale Antikörper gegen Brust- und Darmkrebs), Stoffwechsel (Insuline), ZNS (Beta-Interferon gegen MS) und Hämatologie (Gerinnungsfaktoren gegen Haemophilie). In der Immunologie liegt der Anteil der eingesetzten Biopharmazeutika am höchsten (73 %), im Diabetes-Bereich ist ein Drittel der Präparate biotechnologischer Herkunft (Daten aus VfA: Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2015).Unter den weltweit meist verkauften 20 Medikamenten sind jetzt schon 8 Präparate biotechnologischer Natur. Bei der Entwicklung biologischer Arzneimittel zeigen sich eindeutige Schwerpunkte, so werden hier erstmals in größerem Umfang Medikamente gegen sehr seltene Erkrankungen entwickelt (orphan diseases), die über ein beschleunigtes Zulassungsverfahren rascher an den Patienten kommen, allerdings häufig zu sehr hohen Preisen, die sich daraus erklären, dass sich die gesamten Entwicklungskosten durch den Einsatz bei sehr wenigen Patienten amortisieren müssen. Ausführlich diskutiert wird auch die Hoffnung auf personalized medicine, das heißt die Schaffung eines „maßgeschneiderten“ Medikaments durch Eingriff in das genetische Material. Viele Erwartungen und Hoffnungen sind aber bisher nicht in Erfüllung gegangen. Insbesondere auf dem großen Gebiet der neurologischen Erkrankungen (MS) und der Malignome fehlt der Durchbruch noch. Immer wieder wurden Präparate angekündigt, die Zeug zum Blockbuster hatten (1 Milliarde Dollar Umsatz/Jahr), etwas versteckt fanden sich dann Meldungen, dass die Entwicklung des Präparates eingestellt wurde. Sehr viel Geld wurde ausgegeben, ohne dass entsprechende Ergebnisse erzielt wurden. Wegen der theoretisch möglichen hohen Gewinne wird dem wirtschaftlichen Aspekt der Biotechnologie große Aufmerksamkeit gewidmet. Im Unterschied zu der Entwicklung der klassischen Pharmaka, die in der Regel von den großen pharmazeutischen Firmen getragen wird, stammen viele der biotechnologischen Entwicklungen aus kleinen Firmen. Es gibt zwar auch auf biotechnologischem Gebiet multinationale Großkonzerne, daneben sind aber sehr viele kleine Firmen am Markt, häufig sind es Ausgründungen aus Universitäten. Aus dieser Organisationsform ist auch zu verstehen, dass viele dieser Firmen nur mit Hilfe von Venture Capital ihre Entwicklungskosten bestreiten können. Hier kommt dann die Spekulation ins Spiel. Dies ist teilweise die Spielwiese der Millionäre/Milliardäre, die Teile ihres erworbenen Vermögens hier anlegen. Bill Gates gehört natürlich in diese Reihe. Er hat sich bei der deutschen Firma Curevac beteiligt, die vor kurzem von Investoren 100 Mio. Euro eingesammelt hat. In Deutschland haben sich Dietmar Hopp (SAP-Mitgründer) sowie die Familie Strüngmann (früher Hexal) intensiv auf dem Sektor Biotechnologie engagiert. In letzter Zeit haben die Firmen Teva und Böhringer Ingelheim große Investitionen auf diesem Gebiet angekündigt. Kleinere Firmen, denen potente Unterstützer fehlen, tun sich oft schwer, da die Entwicklungszeiten lang und die Aussichten unsicher sind. So gibt es in Deutschland 200–300 Biotechnologiefirmen, die teilweise von der Hand in den Mund leben. Alle diese Investitionen sind im Grunde Wechsel auf die Zukunft, da kaum eine der Firmen bisher über ein zugelassenes Präparat verfügt. Hoffnung besteht jedoch immer, dass irgendwann der große Wurf gelingt und dass es sich nicht um eine große Blase handelt, die irgendwann einmal platzt.