Z Gastroenterol 2016; 54(03): 259-260
DOI: 10.1055/s-0042-103070
Mitteilungen
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Kolonkapsel als Vorsorge – Untersuchung Positionspapier der Stiftung Lebensblicke

Contributor(s):
J F Riemann
,
J Albert
,
L Altenhofen
,
J Aschenbeck
,
G Dahlhoff
,
A Dignaß
,
H Hohn
,
D Hüppe
,
M Jung
,
M Khoury
,
A Munte
,
H Neuhaus
,
M Philipper
,
T Rösch
,
C Zillinger
,
S Belle
Further Information

Publication History

Publication Date:
15 March 2016 (online)

Mehr als 60 000 Neuerkrankungen und mehr als 25 000 Todesfälle pro Jahr sind in Deutschland dem Darmkrebs zuzuschreiben [1]. Zur Vorsorge und Früherkennung des kolorektalen Karzinoms gibt es wirksame Maßnahmen. Randomisierte Studien haben nachgewiesen, dass der Guajak fecal occult blood test (g-FOBT) und die Sigmoidoskopie zu einer Senkung der Karzinom-Inzidenz und der Mortalität führen. Für die Koloskopie gibt es indirekte Evidenz aus Langzeit-Kohortenstudien, die eine ähnliche Wirkung nahelegen [2, 3]. Seit Einführung der Vorsorgekoloskopie 2002 in die Regelversorgung haben bisher nur rund 23 % der Anspruchsberechtigten an der Früherkennungs- Koloskopie teil genommen [4].

Als eine der alternativen oder ergänzenden Methoden der Darmkrebsvorsorge wird derzeit auch intensiv über die Kolonkapsel-Endoskopie diskutiert. In einem von der Stiftung LebensBlicke initiierten Workshop zur Kolonkapsel haben Experten und Vertreter der DGVS, der AOK Bayern, des bng und des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland den möglichen Nutzen der Kolonkapsel im Allgemeinen und im Sinne der Einbindung in die Darmkrebsvorsorge und -Früherkennung diskutiert.

Positionen

Die gegenwärtigen Indikationen zur Kolonkapsel-Endoskopie sind, analog zu den Empfehlungen der ESGE, die inkomplette Koloskopie ohne Stenose und der Patient, bei dem aufgrund des Risikoprofils eine Koloskopie zu risikoreich ist [5]. Aktuell hat die Kolonkapsel keinen Stellenwert in der Darmkrebsvorsorge und -Früherkennung (S3-Leitlinien KRK).

Für die Kolonkapsel lässt sich vor dem Hintergrund eines möglichen zukünftigen Einsatzes im Rahmen der Vorsorge festhalten:

1. durch die technische Weiterentwicklung der Kapsel ist eine gute Visualisierung der Kolonschleimhaut möglich. Für die Erkennung von Polypen ≥ 6 mm konnten mit der zweiten Generation der Kolonkapsel Sensitivitäten von 81–89 % und Spezifitäten von 64–93 % erreicht werden; die Resultate für Polypen ≥ 10 mm lagen mit Sensitivitäten von 80–88 % und Spezifitäten von 89–97 % nicht wesentlich höher [6–8]. Kleinere Polypen wurden aus der Auswertung herausgenommen ( [Tabelle]).

Tabelle

Sensitivität > 6mm

Polypen > 10mm

Spezifität > 6mm

Polypen > 10mm

Ausschluss

von Patienten

Literatur

Eliakim

89 %

88 %

76 %

89 %

 6 %

7

Spada

84 %

88 %

64 %

95 %

 7 %

5, 6

Rex (Screening)

81 %

80 %

93 %

97 %

21 %

8

Die Kolonkapsel-Endoskopie ist weiterhin eine nicht-invasive, strahlenfreie und hygienisch unbedenkliche Untersuchungsmethode zur Evaluation des Kolons, die keiner Sedierung bedarf und ambulant durchgeführt werden kann.

2. Aus einer deutschen Pilotstudie gibt es Hinweise dafür, dass durch ein gezieltes Angebot der Kolonkapsel als Vorsorgeuntersuchung zusätzlich Menschen motiviert werden können, sich einer Darmkrebsvorsorge zu unterziehen [9]. In einer aktuellen randomisierten Studie zogen Risikopersonen (Verwandte von Darmkrebspatienten) die Koloskopie der Kolonkapsel vor [10]. In dieser Situation wird allerdings auch nach den Leitlinien die Koloskopie primär empfohlen; die Studie zeigt, dass bei einer ablehnenden Haltung zur Koloskopie die Kapsel eine Alternative ist.

3. Falls Befunde aus einer Kolonkapsel-Endoskopie eine anschließende interventionelle Koloskopie erfordern, werden Organisationsstrukturen nötig, die eine solche Untersuchung am gleichen Tag möglich machen (Tandem-Untersuchung). In gastroenterologischen Praxen und Kliniken existieren derzeit nur in Ausnahmefällen Strukturen, die eine unmittelbare Auswertung und eine anschließende unmittelbare interventionelle Koloskopie ggfs. zur Polypenresektion ermöglichen, so dass häufig eine erneute Darmreinigung notwendig sein wird. Die Umsetzung eines solchen Konzeptes ist möglich, wie u. a. das Modellprojekt der AOK Bayern in Hof / Dorfen zeigt. Die dort erprobten Strukturen könnten Hinweise für eine Implementierung sein.

4. Aufgrund unzureichender Darmreinigung oder zu schneller Passage der Kapsel gelingt nur in 78–80 % der Fälle eine vollständige Darstellung des Kolons [6, 8].

5. Es gibt derzeit keine belastbaren Daten über die Erkennung kleiner Polypen bis 5 mm durch die Kapselendoskopie. Ferner ist nicht klar, ob und wenn ja, welche Konsequenzen die Detektion solcher kleiner Polypen nach sich ziehen sollte [11]. Die Diskussion, ob solche Polypen rein endoskopisch (Differenzierung Adenom, serratiert, hyperplastischer Polyp) klassifiziert werden können, ist noch nicht abgeschlossen. Daher ist es zwingend, in weiteren Studien intensiv die Frage nach der Wertigkeit diminutiver Läsionen im Hinblick auf ihre Karzinomentwicklung und ggfs. von Nachsorgeintervallen zu klären [12].

Zusammenfassend bietet die Kolonkapsel eine Erweiterung der Methoden, die den Gastroenterologen bereits zur Verfügung stehen und zielgerecht für die Versorgung der Patienten eingesetzt werden können. Bevor es zu einer Implementierung der Kolonkapsel in ein Vorsorgeprogramm kommen kann, muss der Evidenz-Status der Methode deutlich erhöht werden. Daten aus dem Modellvorhaben Hof / Dorfen sowie aus dem Deutschen Kolonkapselregister können hierbei helfen. Prospektive, randomisierte Studien, die Nutzen und Kosteneffizienz der Kolonkapsel als Methode zur Darmkrebsvorsorge und -früherkennung belegen, sind aber unerlässlich und sollten ebenfalls gestartet werden.

Teilnehmer

Prof. Dr. Jörg Albert

Oberarzt der Medizinischen Klinik I, Universitätsklinikum Frankfurt

j.albert@med.uni-frankfurt.de

Dr. Lutz Altenhofen

Leiter des DMP-Projektbüros Köln (Evaluation und Qualitäts sicherung von Präventionsmaßnahmen) im Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland

laltenhofen@zi.de

Dr. Jens Aschenbeck

Facharzt für Innere Medizin, Versorgungsschwerpunkt Gastroenterologie, Berlin

Regionalvorsitzender Berlin des bng

info@aschenbeck-berlin.de

Dr. Sebastian Belle

Oberarzt der II. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim

sebastian.belle@umm.de

Dr. Gerhard Dahlhoff

Leiter der Stabsstelle Medizin der AOK Bayern, München

gerhard.dahlhoff@by.aok.de

Prof. Dr. Axel Dignaß

Chefarzt der Medizinischen Klinik I Agaplesion Markus Krankenhauses, Frankfurt Schatzmeister der DGVS

axel.dignass@fdk.info

Dr. Horst Hohn

Niedergelassener Gastroenterologe, Koblenz

Dozent für Kapselendoskopie im Kapselclub Deutschland

praxis@dr-hohn.de

Dr. Dietrich Hüppe

Niedergelassener Gastroenterologe, Herne Mitglied des Vorstands der Stiftung LebensBlicke

hueppe.herne@t-online.de

Prof. Dr. Michael Jung

Chefarzt der Klinik für Innere Medizin 2, Gastroenterologie, Katholisches Klinikum Mainz

m-jung@kkmainz.de

Marwan Khoury

Ärztlicher Leiter und Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, MVZ Hochfranken / MVZ Helmbrechts

mkhoury@t-online.de

Dr. Axel Munte

Vorsitzender des Bundesverbands ambulante spezialfachärztliche Versorgung e. V., München

munte@qualidoc.org

Prof. Dr. Horst Neuhaus

Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf

horst.neuhaus@ evk-duesseldorf.de

Dr. Michael Philipper

Niedergelassener Gastroenterologe, Düsseldorf

dr.philipper@unitybox.de

Prof. Dr. J. F. Riemann

em. Direktor der Med. Klinik C, Klinikum Ludwigshafen Vorstandsvorsitzender der Stiftung LebensBlicke

riemannj@garps.de

Prof. Dr. Thomas Rösch

Direktor der Klinik und Poliklinik für Interdisziplinäre Endoskopie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

t.roesch@uke.de

Dr. Christian Zillinger

Gastroenterologe und Internist im Medizinischen Versorgungszentrum Dorfen

christian.zillinger@ mvz-dorfen.de


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  • Literatur

  • 1 Brenner H, Hoffmeister M. Colorectal cancer screening. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz 2014; 57: 302-306
  • 2 Zauber AG, Winawer SJ, O’Brien MJ et al. Colonoscopic polypectomy and long-term prevention of colorectal-cancer deaths. NEJM 2012; 366: 687-696
  • 3 Brenner H, Stock C, Hoffmeister M. Effect of screening sigmoidoscopy and screening colonoscopy on colorectal cancer incidence and mortality: systematic review and metaanalysis of randomised controlled trials and observational studies. BMJ 2014; 348: g2467
  • 4 Brenner H, Altenhofen L, Stock C et al. Expected long-term impact of the German screening colonoscopy programme on colorectal cancer prevention: Analyses based on 4, 407, 971 screening colonoscopies. Europ J Cancer 2015; 51: 1346-1353
  • 5 Spada C, Hassan C, Galmiche J et al. Colon capsule endoscopy: European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) Guideline. Endoscopy 2012; 44: 527-553
  • 6 Spada C, Hassan C, Munoz-Navas M et al. Second-generation colon capsule endoscopy compared with colonoscopy. Gastrointest Endosc 2011; 74: 581-589
  • 7 Eliakim R, Yassin K, Niv Y et al. Prospective multicenter performance evaluation of the second-generation colon capsule compared with colonoscopy. Endoscopy 2009; 41: 1026-1031
  • 8 Rex DK, Adler SN, Aisenberg J et al. Accuracy of Capsule Colonoscopy in Detecting Colorectal Polyps in a Screening Population. Gastroenterology 2015; 148: 948-957
  • 9 Groth S, Krause H, Behrendt R et al. Capsule colonoscopy increases uptake of colorectal cancer screening. BMC Gastroenterology 2012; 12: 80
  • 10 Adrián-de-Ganzo Z, Alarcón-Fernández O, Ramos L et al. Uptake of Colon Capsule Endoscopy vs Colonoscopy for Screening Relatives of Patients With Colorectal Cancer. Clin Gastroenterol Hepatol 2015; 13: 2293-2301
  • 11 Riemann JF, Tannapfel A, Baretton G et al. „Das kleine (vorgewölbte) Adenom – Fortschritte in der Diagnostik zu welchem Preis?“. Positionspapier Z Gastroenterol 2015; 53: 339-340
  • 12 Loberg M, Kalager M, Holme Ö et al. Long-Term Colorectal-Cancer Mortality after Adenoma Removal. NEJM 2014; 371: 799-807