Intensivmedizin up2date 2016; 12(02): 95-96
DOI: 10.1055/s-0042-107955
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Das unterschätzte Risiko – auch viral bedingte Atemwegsinfektionen können tödlich verlaufen

Tobias Welte
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Publikationsdatum:
11. Mai 2016 (online)

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Der vergangene Winter war im Hinblick auf viral bedingte Atemwegsinfektionen rekordverdächtig. Am Arbeitsplatz und im Bekanntenkreis blieb kaum jemand von Infekten verschont, die teilweise mit einem hartnäckigen, über Wochen anhaltenden Husten einhergingen. Auch die Zahl der schweren Verläufe war hoch, viele Patienten mussten stationär aufgenommen werden, zeitweise waren Intensivstationen fast vollständig durch Patienten mit respiratorischem Versagen aufgrund von Atemwegsinfektionen belegt. Auffallend war dabei, dass viele der Patienten jung waren und die Erkrankung bei bis dahin vollkommen gesunden Patienten ohne jegliche Ko-Morbidität auftrat. Ein Teil dieser intensivmäßig behandlungsbedürftigen Fälle war Folge einer Influenzainfektion. 2016 trat die Influenzawelle verhältnismäßig spät auf, erste Fälle wurden erst Ende Januar berichtet, der Gipfel der Epidemie lag Ende Februar, es gab jedoch noch Neuerkrankungen bis Ende April. Am Anfang traten fast ausschließlich Influenza A-Infektionen (H1N1) auf, im späteren Verlauf kam es auch vereinzelt zu Influenza B-Infektionen. H1N1 scheint gerade bei jungen Menschen mit guter Immunabwehr zu einer überschießenden Immunreaktion zu führen, nicht der Erreger selbst, sondern die durch ihn ausgelöste massive Zytokin- und Mediatorfreisetzung aus Entzündungszellen führt zu Epithelschäden und einem Zusammenbruch der epithelialen Barriere, die sich klinisch im Bild eines foudroyanten ARDS äußert. Allerdings gelang bei Weitem nicht bei allen Patienten mit diesem klinischen Bild der Nachweis von Influenzaviren, auch andere virale Erreger wie humane Metapneumoviren, Parainfluenza-, Adeno- und RS-Viren wurden nachgewiesen, bei einer Reihe von Patienten gelang gar kein Erregernachweis. Zumindest auf unserer Intensivstation gab es jedoch ein Charakteristikum, das auf alle Patienten ausnahmslos zutraf: Keiner der Patienten im respiratorischen Versagen war Influenza-geimpft, auch wenn für einen Teil der Patienten die Impfung in den Richtlinien der Ständigen Impfkommission (STIKO) generell empfohlen wird, wie zum Beispiel für Beschäftigte im Gesundheitswesen, die bekanntermaßen ein überdurchschnittliches großes Risiko für Influenzainfektionen haben. Obwohl die meisten Krankenhäuser diese Impfung inzwischen kostenlos für alle Mitarbeiter anbieten, wird die Möglichkeit nur selten, in der MHH von knapp 20 % der Mitarbeiter, genutzt. Es bleibt mir ein Rätsel, warum die Angst vor den, meist lokalen und sehr selten schweren, Impfnebenwirkungen so viel größer ist als die Angst vor der nicht ganz seltenen schwer verlaufenden Influenza, selbst bei Mitarbeitern, die junge Menschen an Influenza haben sterben sehen.