manuelletherapie 2016; 20(03): 101
DOI: 10.1055/s-0042-108673
Gasteditorial
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gasteditorial

Erik Thoomes
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Publication Date:
22 July 2016 (online)

Zervikogener Schwindel

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe richtet den Fokus auf Patienten mit einer kontroversen Art von Schwindel, bei dem als Ursache die muskuloskeletalen Strukturen in der oberen HWS vermutet werden. Bei einer unlängst besuchten Spezialisierungsfortbildung zu Schwindel behaupteten sowohl der Neurologe als auch der HNO-Arzt nachdrücklich, dass zervikogener Schwindel nicht existiert. Ihrer Ansicht nach stehen Hyperventilation, benigner paroxysmaler Lagerungsschwindel (BPLS), Labyrinthitis oder Morbus Menière ganz oben auf der Liste der möglichen Diagnosen, und in ca. 12 % der Fälle könne keine richtige Diagnose erstellt werden. In den frühen 70er-Jahren existierte auch die Diagnose zervikogener Kopfschmerz nicht, wurde in der 1. Ausgabe der International Classification of Headache Disorders 1988 jedoch spezifisch als sekundärer Kopfschmerz klassifiziert [3]. Vielleicht wird in den kommenden Jahren auch zervikogener Schwindel anerkannt.

Vertigo und Schwindel zählen zu den häufigsten Gründen eines Arztbesuchs, verbunden mit einer Überweisung zum Facharzt [4]. Daher kommen Patienten entweder direkt wegen diese Beschwerden zur physiotherapeutischen Behandlung oder erwähnen sie bei der Befunderhebung oder während der Behandlung anderer muskuloskeletaler Beschwerden. Im April diesen Jahres war Schwindel sogar eines der Hauptthemen beim jährlichen wissenschaftlichen Symposium „Heads up“ der Niederländischen Vereinigung für Manuelle Therapie (NVMT; [5]).

Ein methodologisches Problem in wissenschaftlichen Studien über Vertigo und Schwindel stellt die uneinheitliche Verwendung dieser Begriffe dar [2]. Die meisten Ursachen von Schwindel sind zum Glück nicht ernsthaft und verschwinden entweder von alleine wieder oder lassen sich einfach behandeln. Dies hängt von der spezifischen Diagnose ab.

Nicht alle Gesundheitsdienstleister nehmen sich genügend Zeit für die Durchführung der für Schwindel spezifischen diagnostischen Triage oder Algorithmus. Oft verlassen sie sich auf Heuristik, Mustererkennung oder sogar ihr „Bauchgefühl“ bei der Beschreibung der Patientensymptome. Um ernsthafte Erkrankungen auszuschließen, die eine medizinische Intervention erfordern [1], ist jedoch ein komplettes Screening für Red Flags absolute Notwendigkeit.

Die Schwerpunktartikel dieser Ausgabe bieten den Lesern die Möglichkeit, ihr Wissen in Bezug auf Schwindel zu erweitern und zu vertiefen.