Laryngorhinootologie 2016; 95(10): 704-706
DOI: 10.1055/s-0042-109617
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Progrediente einseitige Raumforderung der latero-kranialen Orbita

Progressive Unilateral Lesion of the Latero-Cranial Orbital Cavity
F. Stupp
1   Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Germany
,
F. Sommer
1   Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Germany
,
M. Reichert
1   Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Germany
,
J. Ruess
2   Institut für Allgemeinpathologie, Uniklinik Ulm, Ulm, Germany
,
J. Lindemann
1   Universitätsklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Universitätsklinik Ulm, Ulm, Germany
› Author Affiliations
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Publication History

Publication Date:
18 July 2016 (online)

Fallbeschreibung

Berichtet wird über einen 23-jährigen Patienten, der sich notfallmäßig in der Hochschulambulanz vorstellte. Bei Verdacht auf eine Entzündung der Tränendrüse war eine ambulante augenärztliche Therapie mit Augentropfen und Salben erfolgt. Da sich auch unter oraler Antibiose seit 3 Tagen keine Besserung gezeigt hatte, erfolgte nun die konsiliarische Vorstellung über die Augenklinik zur Abklärung eines sinugenen Fokus.

Der Patient stellte sich mit einer progredienten, supraorbitalen Schwellung links mit Punctum maximum am lateralen Oberlid und Paragraphenzeichen, sowie seit 6 Wochen bestehenden frontotemporalen Cephalgien vor ([Abb. 1]). Der HNO-ärztliche Untersuchungsstatus war regelrecht ohne Anhalt für eine akute Sinusitis. Bis auf eine Tonsillektomie im Kindesalter waren keine weiteren Operationen, Nebenerkrankungen oder Medikamenteneinnahme angeben. Der Patient gab einen Nikotinkonsum an (15–20/d).

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Abb. 1 Präoperativer, inspektorischer Befund: Der abgebildete Patient stellte sich mit seit 6 Wochen bestehender, progredienter Schwellung und Rötung im Bereich der linken Orbita mit Punctum maximum am lateralen Oberlid vor. Das durch die Raumforderung bedingte „Paragraphenzeichen“ der Oberlidkante- und falte ist deutlich zu erkennen.

Im Ultraschall zeigte sich eine inhomogene Raumforderung links supraorbital, die am ehesten einer vergrößerten Tränendrüse entsprach. Sonografisch war kein Abszess abgrenzbar. Bei Verdacht auf eine prologierte Dacryoadenitis acuta mit V. a. beginnenden Tränendrüsenabszess wurde zur Abklärung einer Abszedierung und zum Ausschluss anderer Raumforderungen ein CT des Gesichtsschädels mit Kontrastmittel durchgeführt. Radiologisch wurde ein von der Tränendrüse ausgehender Abszess links beschrieben (ca. 2×3×3 cm), welcher sich bei osteolytisch verändertem Knochen bis nach intrakraniell ausdehnte ([Abb. 2]). Eine akute Sinusitis oder Verbindung zur Stirnhöhle bestanden nicht.

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Abb. 2 Präoperative, computertomografische Bildgebung des Schädels: Im coronaren Schnitt a ist eine ca. 2×3 cm messende, von der latero-kranialen Orbita ausgehende Raumforderung mit Infiltration und Teildestruktion des Os frontale zu erkennen. Der Prozess dehnt sich bis nach intrakraniell aus. Im axialen Schnitt b erscheint der ipsilaterale Sinus frontalis dabei nicht betroffen.

Es erfolgte die notfallmäßige operative Abszesseröffnung über einen lateralen Augenbrauenrandschnitt mit Spülung und Einlage einer Drainage. Intraoperativ zeigte sich eine lytische und fast vollständig aufgebrauchte Tränendrüse. Die im CT beschriebene Osteodestruktion bis nach intrakraniell bestätigte sich, wobei die freiliegende Dura intakt war und kein Hinweis für einen Liquoraustritt bestand. Zur weiteren histologischen und mikrobiologischen Diagnostik wurden Proben entnommen. Eine neurochirurgische Intervention war in Absprache mit den Neurochirurgen bei unauffälliger Neurologie des Patienten nicht indiziert. Es wurde eine i. v. Antibiose mit Unacid® durchgeführt. Am ersten postoperativen Tag wurde ein Kontroll-MRT des Schädels mit Kontrastmittel durchgeführt. Radiologisch ließ sich dabei kein Abszess mehr abgrenzen. Dura und Knochen zeigen eine typische KM-Aufnahme im Sinne einer Osteomyelitis, ohne Anhalt für eine intrakranielle Beteiligung.

Die mikrobiologischen Ergebnisse des nativen Abszessabstriches lieferten keinen Bakteriennachweis. Histopathologisch wurde nekrotisches Weichgewebe mit massivem entzündlichem und einem suspekten Infiltrat beschrieben, welches der weiteren Charakterisierung bedurfte. Immunhistochemisch exprimierten die suspekten Zellen S100, CD1a und Langerin. Die Proliferation (Ki-67-Färbung) lag bei etwa 40% ([Abb. 3]). Anhand dieser Ergebnisse wurde die Diagnose „Langerhanszell Histiozytose“ (LCH) gestellt.

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Abb. 3 Langerhanszellhistiozytose: a Langerhanszellen mit großen lobulierten Kernen und eosinophilenreichen Begleitinfiltrat (HE, 400 fache Vergrößerung). b Langerhanszellen mit zytoplasmatischer und nukleärer Expression des S-100-Proteins (S100-Protein-Immunhistologie, 400 fache Vergrößerung). c granuläre zytoplasmatische Expression von Langerin in den Langerhanszellen (Langerin-Immunhistologie, 400 fache Vergrößerung). d Membranöse Expression von CD1a (CD1a-Immunhistologie, 400-fache Vergrößerung). e Proliferation der Langerhanszellen (Ki67-Immunhistologie, 400 fache Vergrößerung).

Klinisch zeigte sich der Patient im postoperativen Verlauf zunehmend wohlauf und neurologisch weiterhin unauffällig. Die Cephalgien waren regredient. Nach Spülungen und Laschenzug am 3. und Fadenzug am 12. postoperativen Tag folgte eine bisher komplikationslose, lokale Wundheilung.

Der Patient wurde zeitnah zum weiteren Staging und zur weiteren Therapie in der internistischen Abteilung für Hämatoonkologie vorgestellt. In der durchgeführten FDG-PET-CT zeigte sich neben der bekannten Läsion des linksseitigen Orbitadachs mit Durchsetzung des Durablatts und intrakranieller Ausdehnung, eine fokale Leberhypodensität mit korrelierender Stoffwechselsteigerung. Zur Abklärung der möglichen hepatischen Filialisierung erfolgte eine ergänzende KM-Sonografie der Leber. Sollte sich bildmorphologisch und histologisch eine multisystemische LCH bestätigen, ist die Indikation einer systemischen Chemotherapie zu diskutieren. Ein Nikotinverzicht sollte zusätzlich eingehalten werden.