Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(06): 335
DOI: 10.1055/s-0042-110059
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Einsatzmöglichkeiten kognitiver Verhaltenstherapie

J. Klosterkötter
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Publication Date:
08 July 2016 (online)

Das psychologische Therapiemodell, das A.T. Beck und seine Kollegen über die letzten 40 Jahre hinweg mit bemerkenswerter Konsequenz immer weiter entwickelt und verfeinert haben [1], ist inzwischen für die Behandlung vieler verschiedener psychischer Störungen nutzbar gemacht worden. Dank der zentralen Rolle, die kognitive Prozesse darin spielen, ließ es sich auch auf plausible Weise mit den jeweiligen neurobiologischen Befunden und ätiopathogenetischen Entstehungstheorien zu den betreffenden Erkrankungen in Verbindung bringen [2]. Das vorliegende Heft der „Fortschritte“ stellt uns nun auch eine Einsatzmöglichkeit der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) bei einer schweren neurologischen Erkrankung vor [3].

Die KVT ist seit vielen Jahren als Therapie der ersten Wahl für die meisten Formen von Angststörungen und leichtergradigen Depressionen im ambulanten Behandlungsrahmen anerkannt. Bei ihren vergleichsweise rationalen, auf Einsichts- und Mitwirkungsfähigkeit angewiesenen Strategien hätte man erwarten können, dass es bei diesem gewissermaßen klassischen Anwendungsgebiet auch bleiben würde. Vor etwa 30 Jahren setzte jedoch eine Entwicklung ein, die eine ganze Reihe weiterer Einsatzmöglichkeiten für das Verfahren nun auch als adjuvante Maßnahme bei schwereren, eher chronisch verlaufenden und nicht selten auch auf die pharmakologische Standardtherapie nur noch unzureichend oder gar nicht mehr ansprechenden Erkrankungen erschloss. 2014 war dann der Zeitpunkt erreicht, die weltweite Leserschaft des einflussreichen Journals „World Psychiatry“ mit einer groß angelegten Debatte zu den Möglichkeiten und Grenzen der KVT bei der Behandlung von depressiven, bipolaren und psychotischen Störungen zu konfrontieren [4]. Einerseits behielten die stärker neurobiologisch orientierten Skeptiker recht, die davor gewarnt hatten, den möglichen Einfluss der KVT auf die solchen Erkrankungen zugrunde liegenden zerebralen Netzwerkpathologien zu überschätzen. Aufs Ganze gesehen erwiesen sich nämlich die Effekte über alle einschlägigen Daten aus kontrollierten Studien hinweg eher als moderat und liefen auf Verbesserungsraten der Behandlungsergebnisse in der Größenordnung von etwa 10 – 20 % gegenüber der Pharmakotherapie allein hinaus. Auf der anderen Seite gab es aber auch allen Anlass, schon in diesem Resümee einen erfreulichen, für die Aufnahme in die maßgeblichen Behandlungsleitlinien und die Umsetzung in die Versorgungspraxis geeigneten Fortschritt zu sehen.

Besondere Beachtung verdienen in diesem Zusammenhang konzeptionelle und verfahrenstechnische Fortentwicklungen sowie neuartige Nutzungsmöglichkeiten der KVT. So wurde das Verfahren in Form des derzeit viel beachteten „Cognitive Behavioral Analysis Systems of Psychotherapy (CBASP)“ speziell auf die adjuvante Behandlung von chronifizierten Major Depressionen zugeschnitten und in mehreren groß angelegten, methodisch überzeugenden Studien mit bisher allerdings unterschiedlichen Erfolgsnachweisen erprobt [5]. Diese Fortentwicklung könnte sich als besonders hilfreich erweisen, weil Chronifizierungen auch mit einer optimierten Standardtherapie sonst nur sehr schwer zu überwinden sind. Während CBASP am ungünstigen Ende einer therapeutischen Problemkette eingreifen soll, wollen die innovativen Anwendungen der KVT im initialen Hochrisikostadium für Psychosen und bipolare Störungen mit einer ganz anderen in der Zukunft vielleicht noch ungleich bedeutsameren Zielsetzung den Krankheitsausbruch von vornherein verhindern [6]. Dieser inzwischen ebenfalls metaanalytisch abgesicherte Ansatz der indizierten Prävention nutzt das Verfahren als Interventionsmöglichkeit der ersten Wahl und geht davon aus, dass man dann im Erfolgsfall gar nicht mehr erst auf Antipsychotika mit ihren Nebenwirkungsgefahren zurückgreifen muss [7].

Der Einsatz der KVT nun auch bei Patienten mit Morbus Parkinson greift demgegenüber auf die klassische Zielsetzung der Angst- und Depressionsbewältigung zurück [3]. Er scheint auch die Chancen der neurologischen Behandlung selbst verbessern zu können, und das ist sicherlich besonders bemerkens- und begrüßenswert.

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Prof. Dr. J. Klosterkötter
 
  • Literatur

  • 1 Beck AT, Rush AJ, Shas BF et al. Cognitive therapy of depression. New York: Guilford Press; 1979
  • 2 Clark DA, Beck AT. Cognitive theory and therapy of anxiety and depression: Convergence with neurobiological findings. Trends in Cognitive Sciences 2010; 14: 418-424
  • 3 Hadinia A, Meyer A, Nowak K et al. Kognitive Verhaltenstherapie von Angst und Depression bei Patienten mit Morbus Parkinson. Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84: 1-8
  • 4 Thase ME, Kingdon D, Turkington D. The promise of cognitive behavior therapy for treatment of severe mental disorders: a review of recent developments. World Psychiatry 2014; 13 (03) 244-250
  • 5 Kocsis JH, Gelenberg AJ, Rothbaum BO. REVAMP Investigators et al. Cognitive behavioral analysis system of psychotherapy and brief supportive psychotherapy for augmentation of antidepressant nonresponse in chronic depression: the REVAMP Trial. Arch Gen Psychiatry 2009; 66 (11) 1178-1188
  • 6 Klosterkötter J. The usefulness for indicated prevention of severe mental disorders should play a central part in the further development of CBT. World J Psychiatry 2014; 13 (03) 259-260
  • 7 Schmidt SJ, Schultze-Lutter F, Schimmelmann BG et al. EPA guidance on the early intervention in clinical high risk states of psychoses. Eur Psychiatry 2015; 30: 388-404