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DOI: 10.1055/s-0042-115959
Die Systematik der homöopathischen Pflanzenmittel – ein Interview mit Michal Yakir
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
22. Dezember 2016 (online)

Jörg Wichmann: Wann hast du mit der Entwicklung deines Pflanzensystems begonnen und was hat dich auf die Idee dazu gebracht?


Michal Yakir: Ich bin ausgebildete und begeisterte Botanikerin. Zunächst war ich ein Stadtmädchen, das mit 20 in einen Kibbuz kam, statt zur Armee. Dort war ich 1 Jahr lang als Gärtnerin tätig und verliebte mich in die Pflanzen. Später habe ich Biologie studiert. Als ich dann 10–15 Jahre später Homöopathie studierte, dachte ich anfangs, ich würde nie wieder Botanik betreiben, weil ich jetzt Homöopathin sei. Ich hörte Jan Scholten und Jeremy Sherr und später auch Rajan Sankaran, die von System und Methodik in der Homöopathie zunächst in Bezug auf Minerale sprachen. Da dachte ich: Wenn es bei den Mineralen eine homöopathische Ordnung gibt, dann muss das auch für die Pflanzen gelten. Als Botanikerin kenne ich die innere Ordnung des Pflanzenreichs; und auch meine Weltanschauung sagt mir, dass die Welt eine Ordnung hat und nicht einfach auf Zufall beruht. Ich war also sicher, dass es eine solche geben müsste, und fragte verschiedene Leute danach. Aber niemand hatte eine Idee dazu.
So dachte mir also: Gut, ich werde das selbst erforschen. Ich begann Fragen zu stellen. Ich glaube, dass ich in den ersten 10 Jahren nur Fragen aufgeworfen habe. Ich wollte sehen, ob es eine Verbindung zwischen den pflanzlichen Gruppen gibt. Außerdem fragte ich mich, wie ich sie überhaupt auf eine für die Homöopathie sinnvolle Weise gruppieren sollte. Ich stellte mir also solche Fragen und wartete auf Antworten.
Gibt es etwa eine Verbindung zwischen Nux vomica und Ignatia? Oder zwischen Stramonium, Belladonna und Dulcamara? Gibt es dann größere Gruppierungen? Ich fragte und beobachtete. Dann hörte ich von Kollegen, die über Pflanzengruppen zu unterrichten begannen, z.B. Vermeulen über die Liliales und Arales. Ich kaufte mir ein Buch von Rupal Desai „ReExploring Our Magnificent Plants“ (Mumbai 1999) und fand heraus, dass schon Farrington angefangen hatte, mit Gruppen zu arbeiten. Das war alles Öl in mein Feuer. Sie hatten alle die Familien im Blick.
Also begann ich auch, die Familien zu untersuchen, fand allerdings später die Ordnungen als die besser geeignete Ebene. Ich brauchte 1 Jahr lang, um mich für ein System zu entscheiden. Das war wichtig. Ich werde immer wieder gefragt, warum ich mich für das Cronquist-System entschieden habe. Als ich angefangen habe, gab es das APG-System (Angiosperm Phylogeny Group) noch gar nicht, und Arthur John Cronquist war der fortschrittlichste Botaniker. Es gab auch andere, aber er brachte ein vollständiges evolutionäres System, das allein vom Phänotyp ausging. Später baute die APG ihr System auf den Genotyp auf. Als Homöopathen arbeiten wir aber generell nicht mit dem Genotyp und mit bloßen Laborergebnissen, sondernwir fragen nach Zeichen und Symptomen, was bei den Pflanzen dem Phänotyp entspricht. Dies steht auch in Einklang mit dem evolutionären Ansatz. Wenn eine Pflanze weit entwickelt aussieht, dann ist das wichtig. Denn das hat ökologische Folgen und verändert die Umwelt. Die Gene als solche hingegen haben keine Konsequenzen, weil die Selektion immer am Phänotyp ansetzt.
Auch später, als ich mir das entstehende APG-System ansah, war es schwer zur Evolution in Beziehung zu setzen. Zum einen ist das System noch unfertig; in den letzten 20 Jahren hat es ein APG I (1998), II, III und IV (2016) gegeben. Die Angiosperm Phylogeny Group setzt das System immer wieder neu auf, weil die Verfeinerung der Laborergebnisse ständig etwas verändert. Auch ihnen scheint klar zu werden, dass der rein genetische Vergleich nicht ausreicht und dass sie zusätzlich den Phänotyp einbeziehen müssen. Sie schauen jetzt auch auf die von den Pflanzen erzeugten chemischen Stoffe und auf anderes. Das wird aber alles Zeit benötigen.
Wenn wir aktuell daraufschauen, stellt sich das APG wie eine Gruppe von Inseln dar, deren Verbindungen untereinander noch nicht geklärt sind. Das sind die Gründe, warum ich mich – mit einigen Modifikationen – an Cronquist anlehne. Ich nehme einige Anpassungen vor, wo mir das APG mehr eingeleuchtet hat. Ein Beispiel sind die Violales, die bei Cronquist mit den Cucurbitales zusammengehören. So sehr ich es auch versucht habe, konnte ich das nicht passend machen. Das APG setzt sie jetzt in Spalte 5 in eine eigene Ordnung, was wirklich gut passt. Bei ihnen ist wichtig, dass die Emotionen vom Intellektdominiert werden, was in die 5. Spalte gehört.
Es gab also Stellen, an denen ich mir dachte: Ja, das passt. Wo ich nach einem Monat des Überlegens, was diese oder jene Umstellung im APG wohl bedeuten konnte, etwas anpasste. Oder es gab zusätzliche Einsichten, die mir das System der APG vermittelte: z.B. sieht der genetische Ansatz eine Verbindung zwischen Spalte 2 und 5 vor, weil sie gemeinsame Vorfahren haben. Auch in meinem System gibt es diese Verbindung zwischen Spalte 2 und 5, ebenso wie zwischen 1 und4. Was also in Spalte 2 entsteht, wird in Spalte 5 umgesetzt und ausprobiert. Das ist tatsächlich ein späterer Entwicklungszustand, der aber auf den gleichen Vorfahren beruht. In Spalte 2 etwa entwickle ich Grenzen und frage mich dann in Spalte 5: Wie lebt man eigentlich mit Grenzen? Was sind die Folgen, was entsteht daraus Gutes, was kann ich mit Grenzen entwickeln und welche Nachteile haben sie? Welchen Preis zahle ich für zustarke Grenzen? Das führt dann zum nächsten Evolutionsschritt.
Damit haben wir schon einen ersten Einblick in deine Denkweise bekommen und in wesentliche Funktionen deines Systems.
Meine Pflanzentabelle ist eigentlich kein System, das andere Systeme impliziert oder ablehnt, sondern eine Herangehensweise, die sich mit jedem System verbinden lässt. Auch mit unserer ganz bodenständigen, klassischen Homöopathie.
Ich bin eine ganz klassische Homöopathin. Als Erstes mache ich immer eine Repertorisation. Danach frage ich mich dann nach zusätzlichen Bedeutungen und Themen, die möglicherweise in der Anamnese hervorgetreten sind. Aber ich beginne immer mit dem Repertorium. Der evolutionäre Zustand eines Menschen ist ebenso ein Symptom wie Verlangen nach Aprikosen. Wenn jemand, sagen wir, sich gerade in einer sehr einfachen, naiven Phase seines Lebens befindet, wenn seine Persönlichkeit sehr naiv ist, dann ist das ebenso ein Symptom wie alles andere. Warum sollte meine Lebensgeschichte kein Symptom sein? Ein gültiges Symptom, das man für die Bearbeitung verwendet. Manchmal kommt so etwas ganz klar heraus.
Gestern zum Beispiel hatte ich eine Patientin, die sagte: Ich bin mein ganzes Leben lang sehr rational gewesen und jetzt kommt meine emotionale Seite heraus: Ich habe eine Frau gefunden, die ich liebe, und jetzt weiß ich nicht, was ich mit all diesen Gefühlen machen soll. Denn das Einfachste ist für mich, alles ganz mental anzugehen. Aus meiner Sicht stellt sie da eine Frage der 6. Spalte: Du hast dein ganzes Leben lang deine Gefühle unterdrückt und nur deinen Verstand benutzt. Jetzt öffnen sich die Gefühle und du weißt nicht, was du damit machen sollst. Du versuchst auf mental zurückzuschalten, aber die Emotionen überrennen dich. Und dann gibt es die von ihr geschilderten Probleme mit der neuen Liebhaberin.
Ich nahm „Beschwerden durch enttäuschte Liebe“ als Rubrik und fand unter den Mitteln Ignatia. An Ignatia hatte ich bis dahin gar nicht gedacht, aber als ich es da sah und wusste, dass Ignatia in die 6. Reihe gehört, habe ich direkt nach einfachen Bestätigungssymptomen für Ignatia gesucht. Ich bin ja seit 25 Jahren Homöopathin und frage also, ob sie Abneigung gegen Früchte hat oder, um es von Natrium muriaticum zu unterscheiden, ob sie nachsalzt 𠈆 Ich gab also Ignatia. Für mich war das Mittel nach 10 Minuten geklärt. Wir haben uns dann weiter unterhalten, weil das für die Patientin wichtig war, aber die Entscheidung war nach 10 Minuten klar. Sie sprach eben wie jemand am Ende der 5. oder Anfang der 6. Spalte. Sie hatte ihre lesbische Neigung ihr ganzes Leben lang nicht anerkannt. Und jetzt, wo sich das Gefühl öffnet, weiß sie nicht, wie sie damit umgehen soll. Dieses zumaskuline Unterdrücken der Gefühle gehört in Spalte 5 und 6. Das Sich-Öffnen zeigt den Beginn einer Spalte an.
Ich schaue also nach einem Mittel, das dem Fall entspricht, und verwende meine Tabelle zur Differenzialdiagnose. Das war jetzt nur ein einfaches Beispiel. Man versteht damit den Fall auch tiefer, weil man dann weiß, was jemand wirklich braucht, in welchem Entwicklungsstadium sich jemand befindet. Solche Evolutionsstadien durchlaufen alle Menschen. Wir sind als Homöopathen geschult, darauf zu achten, auch wenn wir nicht gelernt haben, sie so zu benennen. Da haben wir dann die 6 Hauptstadien, an denen ich einfach sehen kann: Aha, mein Patient befindet sich gerade dort.
Hast du eine Idee, warum Menschen sich gerade auf eine Weise entwickeln sollten, die der Evolution von Pflanzen entspricht? Das leuchtet ja nicht unmittelbar ein. Warum sollten wir den Schritten von Pflanzengruppen folgen?
Ja, dazu habe ich eine klare Vorstellung. Ich glaube, dass die Welt fraktal angeordnet ist, sodass sich jedes Teil in jedem anderen reflektiert. Die Erde ist ein lebender Organismus, der sich nach bestimmten Regeln entwickelt. Die göttliche Eigenschaft der Welt zeigt sich in Regeln. Schwerkraft beispielsweise ist eine Regel, die in unserer Welt gilt. Es gibt also physische und geistige Regeln der Schöpfung, nach denen sich alles richtet. Alles ist auf fraktale Weise nach diesen Regeln aufgebaut. Die physikalische Anordnung der Welt, von Gasen bis zu Gesteinen, folgt solchen Regeln. Deshalb können wir die Entwicklungsstadien von Elementen, von Helium bis zu den Schwermetallen, auch in der menschlichen Evolution wiederfinden.
Die nächste Stufe waren dann die Bakterien und danach die Pflanzen, die inzwischen mehrere Evolutionszyklen durchlaufen haben. Als primitive Pflanzen im Meer, dann an Land zunächst zusammen mit den Insekten, dann als höhere Pflanzen mit den Dinosauriern. Und unsere menschliche Evolution wie die der Säugetiere steht am engsten in Zusammenhang mit dem letzten Stadium der Pflanzenentwicklung, den Blütenpflanzen, von denen die meisten unserer Mittel stammen. Wir haben ein paar Mittel von älteren Pflanzen, wie Lycopodium oder die Nadelbäume, aber die Blütenpflanzen, die jüngsten, sind die häufigsten.
Das bringt mich auf eine andere Frage: Wenn du deinen Patienten, unter denen auch etliche Kollegen sind, die das System kennen, eine „primitive“ Pflanze gibst, wie erklärst du das? Es mag doch niemand gern als besonders unentwickelt eingestuft werden?
Ich sehe das ganz anders. Wir alle gehören der Entwicklungsstufe von Spalte 6 der Tabelle an, den Asterales. Wir sehen uns zwar als Individuen, aber eigentlich sind wir Teile einer bewussten Schicht der Erde, die sich in Evolution befindet. Jeder von uns geht sozusagen zurück und bringt verlorene Stücke wieder mit ein. Ich sage z.B., ich werde am Herzen arbeiten, ein anderer an der Lunge, wieder jemand anderes an der Weiblichkeit. In unserer Zeit geht es darum, alles zusammenzubringen. Jeder arbeitet dabei an einer anderen Stelle. Am Ende der 6. Spalte muss alles zusammenkommen und wir bringen die Gaben der einzelnen Spalten hierher mit:
In Spalte 1 beginnt es mit der Naivität. Spalte 1 hat also die Gabe, die Welt so anzuschauen, wie sie ist, die Welt also ohne Grenzen in ihrem geistigen Aspekt zu sehen. Das hat einen Preis, aber die Gabe, die darin liegt, wenn es gemeistert ist, ist die Gabe der Naivität, der Einheit. Gerade in einer Zeit, in der alle so individualisiert sind, brauchen wir diese Gabe aus der 1. Spalte erneut. Die Pflanzen aus der 1. Spalte und die noch ursprünglicheren bringen uns diese Gabe zurück, ohne die wir uns nicht weiter fortentwickeln können.
Aus Spalte 2 bringen die Menschen die Gabe mit, Grenzen aufzubauen: Wie kann ich meine Grenzen formen?
Aus Spalte 3 bringt man die Gabe des Mutes und der Eigenständigkeit mit.
Aus Spalte 4 bringen wir die Gabe der Familie und der Liebe, die über die Familie hinausreicht.
In Spalte 5 geht es um die Gabe der Trennung und der mentalen Klarheit.
In Spalte6 verinnerlichen und vereinen wir die Vorstellungen von Getrenntheit und Einheit. Einerseits sind wir getrennte Individuen, andererseits sind wir aber auch eins und müssen versuchen, diese beiden Wirklichkeiten zugleich zu erhalten.
… sodass der Kreis sozusagen geschlossen ist. Das ist eine sehr schöne Idee, dieses Zurückbringen der Gaben aus weniger entwickelten Zuständen. Damit wird deutlich, dass nicht die betreffenden Menschen an sich als unentwickelt gesehen werden, sondern als Seelen, die sich entschlossen haben, ältere Zustände zum Wohle des Ganzen zu bearbeiten.
Genau. Ich sehe das völlig wertfrei. Oft erlebt man auch, dass jemand sich von einer Aufgabe zur nächsten weiterbewegt, von einer Spalte zur anderen. Wenn eine Lektion gelernt ist, geht es mit der nächsten weiter.
Du würdest also nicht wie manche andere Kollegen sagen, dass ein Mittel für eine Person „ihr“ Mittel ein für alle Mal ist, wenn es das Simillimum ist? Dass es auch innerhalb einer Biografie eine Evolution gibt? Und dass du Mittel und Spalten auch veränderst?
Ja, das glaube ich so. Auch Veränderungen von der Pflanze zum Mineral und zum Tier usw. In unserer Zeit gehen Entwicklungen so schnell, dass wir nicht eine ganze Lebenszeit lang für eine Lektion, für einen Entwicklungsschritt brauchen.
Du hast dich zunächst nur mit den Blütenpflanzen beschäftigt. Du hast die sogenannten niederen Pflanzen schon erwähnt. Willst du dich demnächst auch mit diesen beschäftigen?
Die Verbindung zu den primitiven Pflanzen habe ich zum Teil schon verstanden. Sie haben ihren eigenen evolutionären Zyklus, aber auf andere Weise. Wir haben bei den Blütenpflanzen ja auch die Gruppen der ein- und der zweikeimblättrigen Pflanzen, wo ich mich anfangs fragte, wie diese miteinander zusammenhängen. Dann fand ich heraus, dass die Monocotyledonen den gleichen Zyklus wie die Dicotyledonen durchlaufen, aber nicht so stark ausdifferenziert. Die Einkeimblättrigen sind jünger und deshalb hatten die Zweikeimblättrigen mehr Zeit, die Spalten und Reihen weiter zu unterteilen. Die Reihen (waagerecht) zeigen den Reifezustand des jeweiligen Spaltenthemas. Davon gibt es bei den Zweikeimblättrigen eine ganze Anzahl, bei den Monocotyledonen nur einen Anfangs- und einen Endzustand.
Dieser Zyklus ist von den Nichtblütenpflanzen insgesamt dreimal durchlaufen worden. Bei den sehr einfachen Pflanzen gibt es nur noch eine einzige Spalte, weil die anderen alle schon ausgestorben sind. Aus Fossilien weiß ich aber auch, dass es da noch viel mehr Spalten gegeben haben muss. Ich hoffe, dass ich da zusammen mit anderen Kollegen noch weiterarbeiten kann. Die nächste Gruppe sind die Farnartigen und die Schachtelhalme, von denen wir auch nur eine Spalte übrig haben. Danach kommen die Nacktsamer; also Ginkgo, Welwitschia und die Nadelhölzer. Die Coniferen sind dabei das Ende des Zyklus, wo der Zyklus sich zum nächsten Stadium hin öffnet.
Aber du willst bei den Pflanzen bleiben? Oder planst du auch, an Tieren zu arbeiten?
In meinem nächsten Buch werde ich mich damit beschäftigen, die Ergebnisse zu den primitiven Pflanzen aufzuzeichnen. Und danach, wer weiß …. Ich bin im Wesentlichen Botanikerin. Meine Rolle war es wohl, dieses hier zu finden.
Wenn du sagst, du bist Botanikerin, kann es sein, dass du mehr Pflanzenmittel verordnest als andere Kollegen? Dass du in deinen Patienten eher den Pflanzenaspekt siehst als andere?
Ja, das ist ganz bestimmt der Fall. Aber ich gebe genauso auch andere Mittel, Minerale usw.
Siehst du Ähnlichkeiten zu anderen Systemen? Es haben sich ja in den letzten 20 Jahren mehrere Systeme entwickelt, die von Sankaran, Scholten, Mangialavori usw.
Ich kann das am besten hinsichtlich Sankarans Ansatz sagen. Er blickt bei den Pflanzen nicht auf den evolutionären Aspekt. Er ordnet die Gruppen alphabetisch und schaut nur auf die Eigenschaften der einzelnen Gruppen. Er ist kein Botaniker und sieht das jeweils einzeln. Und wenn ich das vergleiche, dann finde ich, dass er mit seinen Beobachtungen Recht hat. Es hat zwar keinen Zusammenhang, aber es passt im Einzelnen zur Stellung innerhalb des evolutionären Systems. Die Stellung der Familien in der Evolution gibt den Empfindungen einen Sinn und Zusammenhang. Es ist sehr schön, diese Empfindungsmethode zu sehen, weil alle ihre Ergebnisse genau in das System passen. Ich finde, dass die beiden Systeme sich hervorragend ergänzen. Dazu kommt noch, dass meine Tafel dich nie bis zum Mittel führt. Ich bekomme das Mittel über die Symptome, ganz nach der klassischen Methode. Manche sind aber sehr geschickt darin, das Miasma eines Falles zu finden, das dann direkt zum passenden Mittel innerhalb einer Familie führt.
Deine Idee wäre also, die Systeme zu verbinden, um Bestätigungen aus beiden bekommen
zu können.
Pflegst du einen Austausch mit anderen Kollegen, die andere Systeme vertreten?
Ich habe mit Mahesh Gandhi viel darüber geredet. Aber ich arbeite nicht mit der Empfindungsmethode. Ich habe das nur gelesen und gefunden, dass es alles gut passt. Sankaran und Scholten habe ich mein System erklärt, aber wir haben es leider nie wirklich diskutiert. Scholten hat viel mit dem APG gearbeitet und dabei nicht auf den evolutionären Aspekt geachtet, sondern den Gruppen Stadien zugeteilt wie den Mineralen, während ich von den Spalten der Pflanzensystematik selbst ausgegangen bin. Wenn ich das bei den einzelnen Mittelnvergleiche, kommen wir beide oft zum gleichen Schluss.
Man kann gut erkennen, dass dein System aus einem Verständnis der Pflanzenverwandtschaften heraus entwickelt worden ist, während Scholten seine an den Mineralen entwickelte Struktur den Pflanzen sozusagen von außen aufprägt. Sein System geht nicht von den Verbindungen der Pflanzen selbst aus, sondern von einem externen System, an das die Pflanzen angepasst werden, während du von den Pflanzen selbst her denkst.
Ja, stimmt, er geht von einer Ideenebene aus, während ich von der pflanzlichen Ebeneher komme. Ich habe Stunden damit verbracht, mir eine Pflanze einfach anzuschauen. Eigentlich habe ich 30 Jahre damit verbracht, mir Pflanzen anzuschauen und mich zu fragen, wie sie sich verhalten und was dies oder das bedeutet. Wenn ich in meinem Buch Abbildungen bringe, dann sind es solche, die eine Bedeutung für das Mittelbild haben.
Ich könnte mit dir in den botanischen Garten gehen und dir an einzelnen Pflanzen zeigen: Dieses Haar hier, welchen evolutionären Sinn es hat und wie es sich auf das Mittelbild bezieht, oder die Farbe oder die Geschwindigkeit des Wachstums. Bei Pfingstrosen z.B. sind die Blüten groß und schön, aber wenn man sich die Frucht anschaut, dann sieht sie aus wie Hämorrhoiden. An den Blüten sieht man das nicht, aber an der Frucht sieht man, dass die ganz chaotisch ist, weshalb sie zur 1. Spalte gehört.
Die Erde spricht die ganze Zeit. Wir kennen die Eigenschaften der Pflanzen, weil wir Arzneimittelprüfungen gemacht haben. Wenn ich jetzt eine Blume nehme, dann erkenne ich an ihr noch nicht die evolutionären Qualitäten, sondern erst wenn ich sie geprüft habe. Wenn ich die Materia medica interpretiere, dann sehe ich ihre Bedeutung für ein menschliches Wesen. Wenn ich sie dann hinterher wieder anschaue, dann erhalte ich noch zusätzliche Informationen. Das Schöne daran ist, wenn ich die Materia medica so zusammenstelle und auf das Evolutionsstadium beziehe, dann erhalte ich ein ganzes Buch; nicht nur eine Seite, sondern ein komplettes Buch, das eine Geschichte erzählt.
Was glaubst du, warum es zurzeit solch ein großes Interesse in der Homöopathie an der Entwicklung von Systemen gibt?
Was sich nicht entwickelt, das stirbt – das ist eine ökologische Regel. Was nicht wächst, unterliegt der Entropie und zerfällt wieder in seine Teile. Evolution ist das Gegenteil der Entropie. Deshalb muss sich alles weiterentwickeln. Stillstand führt zur Entropie. Auch Minerale entwickeln sich. Und ich glaube, dass auch Gott sich weiterentwickelt. Wir sind Teil der sich entwickelnden Gottheit. Deshalb all diese Krisen und Kämpfe usw. Das hat viel mit Homöopathie zu tun. Ich bin nicht nur daran interessiert zu heilen. Zum Beispiel einen Kopfschmerz. Wenn der weg ist, kommt etwas anderes. Wir tun das alles, um den Menschen in der Evolution zu helfen, etwas Neues, Besonderes zu entwickeln. Alles, was wir tun, muss sich auch weiterentwickeln. Systeme zu finden, bedeutet, die Ordnung in den Dingen zu sehen. Ein System ist eine Ordnung, die Logik in den Dingen. Das ist die nächste Stufe. Es gibt auch andere solche Stufen, die Empfindung z.B. wäre so eine. Alles ist Teil dieser Weiterentwicklung.
Ich möchte noch den Wechsel von weiblichen zu männlichen Qualitäten hervorheben, der sich in der Tafel zeigt. Es beginnt mit den weiblichen Qualitäten der prähistorischen Zeit der Menschheit. Wir werden aus dem Weiblichen heraus geboren, sind zunächst eins damit. Dann kommt der männliche Impuls der Trennung hinein. Und wenn wir dann Spalte 5 und 6 erreichen, befinden wir uns ganz unter männlicher Vorherrschaft. In der heutigen Zeit haben wir uns mit den Problemen auseinanderzusetzen, die entstehen, wenn die männlichen Kräfte überhandgenommen haben und nicht mehr im Gleichgewicht mit dem Weiblichen sind. Entweder man setzt sich damit in Spalte 6 auseinander oder in Spalte 1, wo man zu weiblich in einer männlichen Welt ist. Du bist vielleicht Pulsatilla, zu weiblich, und kannst dich nicht orientieren, auf geistiger Ebene zu weiblich eingestellt für diese männliche Welt. Du bringst große Werte mit in die Welt, kannst dich aber nicht richtig erklären. In Spalte 6 hingegen ist dein Ich voll entwickelt.
Wie ist das mit der englischen und deutschen Version deines Buches?
Die englische Version wird in Kürze erscheinen, wohl noch im Herbst; die deutsche befindet sich noch in der Übersetzung, wird aber im nächsten Jahr nachkommen („Wondrous Order – The Table of Plants“, ca. 800 S., Ende 2016).
Mir ist aufgefallen, dass viele in der Anwendung der Tafel nicht die Bewegung von links nach rechts von derjenigen von oben nach unten unterscheiden können. Diese ähneln sich in gewisser Hinsicht, weil beide eine Entwicklungslinie darstellen.
Die waagerechten Reihen sind Reifestadien innerhalb des Themas der Spalten. Und die senkrechten Spalten sind die Stufen der Entwicklung des Egos. Jede Spalte hat ein sehr spezielles Thema. In Spalte 1 geht es um den Aufbau des Ich, in Spalte 2 um die Bildung von Grenzen, um das Hier oder Dort. Deshalb hat jede der Spalten einen Namen. Spalte 3 hat mit dem Helden zu tun, mit dem Kampf um die Selbstwerdung, die Abtrennung. In Spalte 4 dreht es sich um das Gleichgewicht zwischen dem Männlichen und dem Weiblichen, um das Nähren und die Mutter. Spalte 5 ist der Bruch und der Vater. Spalte 6 handelt vom Ich und der Gruppe, davon wie wir das Bewusstsein einsetzen. Wenn man das klar hat, gibt es dann noch die Frage, in welchen Reifegraden wir diese Lektionen lernen. Jede Spalte stellt sozusagen eine Lektion dar, deren Beginn oben und deren Ende unten liegt. Dann wird alles sehr einfach.
Alter |
|
Arales: klein gegen groß, Wechsel, Wanderungen, Verwirrung, Wasser und Geschlechtsorgane |
Orchideen und andere: Intimität, Sex und Versuchung, Hitze und Stau, Fruchtbarkeit, frühe Trennung, Nervensystem, Unreife |
|
||
Erwachsen: Jugendliche junge Erwachsene |
|
Liliales: Intimität, Beziehungen, Meidung, Herz, das Ich im Bezug zur Gruppe, Eigenidentität in der Welt, Sünde und Sexualität, Religion und Gemeinschaft, Hierarchie, oben und unten, innen und außen, Königin und Prinzessin für sich einstehen, Diktatur, Imperialismus, Herz und Blut, Assimilation der Welt, Verdauung |
||||
Kindheit: Schule frühe Kindheit Säuglingszeit (Urvertrauen) Lebensbeginn vorgeburtlich |
|
Arecales: Unreife der Geschlechtsorgane Wasser, Schleimhäute, Unsicherheit und Verwirrung, hier oder dort sein |
Poales: Genährtsein durch Eltern, Überbehüten, Unterstützung oder Mangel, Trennung und Klammern, Verbindung zur Familie, zu den nährenden Wurzeln, Bewahren, Fülle Hormon- und Nervensystem, Wasser – zu viel |
|||
Alismatales: neu und stürmisch |
|
|||||
|
Alismatidae |
Arecidae |
Commelinidae |
Liliidae |
||
![]() |
Monocotyledonae |
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vor der Trennung |
hier ↔ dort Grenzen |
der Held |
Nähren Reifen |
die Anderen/ Handeln |
die Gruppe Krieg/Frieden |
|
Dicotyledonae |
|
|||||
Entwicklungsstadien |
Magnoliidae |
Hamamelidae |
Caryophyllidae |
Dilleniidae |
Rosidae |
Asteridae |
vor der Geburt das Unbewusste vor-, prä-… |
Magnoliales: grundlegend, ursprünglich, Anfang, unbewusst, verwirrt |
Urticales: nicht geboren sein, nicht existieren wollen, Eskapismus |
|
Theales: Todeswunsch, Angst vor Mutterschaft, Frühgeburt, unreife Systeme |
Rosales: Tod, Beginn, grundlegendes Versagen, emotional, Liebe, Verbindung, Herz |
Solanales: Gegenwelt, Krieg, flüchten oder schützen, verfolgt, Ängste, Instinkte, der Schatten, Zuckungen |
Säugling orales Stadium Urvertrauen und -sicherheit |
Piperales: ich will – ich bekomme, Befriedigung, Nervenreizung |
Hamamelidales: Grenzen am Lebensbeginn, der Mutterschaft |
|
Sarraceniales: keine existenzielle Sicherheit, Nahrungsbasis |
Fabales: Mangel an Urvertrauen, kraftlos, Angst vor dem Tun |
|
Babyzeit Urvertrauen Wille und Scham anales Stadium |
Laurales: aufnehmen, ohne Grenzen, unbeständig oder unsicher |
|
Caryophyllales: Matriarchin, besetzt, beeinflusst, riesig gegen winzig, Ungleichgewicht, Insistieren, gegen die Welt mit Strenge retten, Herz, Polarität |
Malvales: Verlassen, Mutterschaft, Trennung, nicht handeln, Lähmung des Ich, Beschwichtiger |
Geraniales: Starre, Zwanghaftigkeit, Festhalten, Arbeit !!, gelähmte Fähigkeiten, Ausdrucksprobleme |
Gentianales: Kontrolle, Halten, Krämpfe, Loslassen, überempfindlich, feindlich, kann die Welt nicht halten |
frühe Kindheit Penetration |
Aristolochiales: instabil, verwirrt, nachahmend, eindringend, schwaches Ich |
|
|
Malpighiales: Grenzen, Haut und Schleimhäute, Stechen, Gewalt, früher Sex, Depression |
Scrophulariales, Gentianales: Eindringen und Grenzen setzen, die Welt treffen, Absonderung, Verdickung, Ziele setzen, Stärke gegen Schwäche, soziale Normen, Pflicht gegenüber der Familie |
|
Schulzeit Fähigkeiten Regeln und Gesetze |
Ranunculales: kontrolliert, gereizt, ängstlich, idealistisch kindliches Ich stößt auf erwachsene Pflichten, Furcht, Flucht, Konfrontation |
Juglandales: klein gegen groß, hier oder dort, Klammern, Kraft finden |
|
Sapindales: Gesetz, Struktur, Ordnung, Starre, Religion, Druck, Arbeit, Ruhelosigkeit |
||
Jugend Einschränkungen Identität |
Myricales: begrenzt, schwach, nicht oder verwirrt handeln, unfähig |
Polygonales: Stimmung schwankt, Wunsch zu wachsen gegen Angst, erste Mutterschaft, Geben lernen, Haut, Gelenke |
Primulales: Freiheit, Grenzen, Essstörungen, Schuld, Sexualität |
|
Rubiales: Überstimulation, Verlangen, in der Welt zu wirken, Imagination, Körperbild, Sexualität |
|
junge Erwachsene Intimität und Handeln |
|
Cucurbitales: Überfluss, getrennt, nährende Familie, Isolation |
Santanales: Trennung, Parasiten, Schwäche des Wollens und Handelns |
Lamiales: sich beweisen, Kampf, Ehrgeiz, mehr wollen, überaktiv, verstecken, kalt |
||
Erwachsene Reifung |
Fagales: Hilfe, Verantwortung ohne die Kraft übernehmen – Ziele nicht erreichen können |
|
Ericalees, Salicales, Capparales: weibliche Ängste, Kastration, Entmannung, Ende, depressiv, Nahrung, alt, Verdauung |
Celestrales. Apiales: Gesellschaft und Arbeit, Ärger und Streit, Schwellen und Schrumpfen, Kälte, Paralyse |
Asterales: Ich gegen die Welt, eindringen/zurückschlagen, Krieg, Blut, Parasiten, Allergien, überwältigt Suche nach Nähe, Berührung – nur nach meinen Bedingungen, überempfindlich, defensiv, Fruchtbarkeitsfrage nach Schmerz, Ende und Anfang, Veränderungen, Kindlichkeit |
|
Alter Ende Zusammenschau Leben / Prozess |
Papaverales: distanziert, festhalten, Flucht, Schmerz, schläfrig nicht / zu viel kontrollierend, starr Leber und Lähmung |
|
|
Apiales: Tumoren, kindisch, schwach, alt, tot, trocken, Narben, starr, blockiert, Vergangenheit |
Michal Yakir PhD, ist eine israelische Homöopathin, die zunächst Biologie (Ökologie und Botanik) studiert hat. Ihre Dissertation hat sie mit einem homöopathischen Forschungsthema in der medizinischen Abteilung der biologischen Fakultät gemacht. Sie arbeitet in ihrer Praxis zwischen Tel Aviv und Jerusalem und lehrt ihr evolutionäres Verständnis der Pflanzenfamilien weltweit. Sie ist die ehemalige Vorsitzende der Israeli Association For Homeopathy und Redakteurin der Zeitschrift dieser Gesellschaft.
Ihr Buch erscheint auf Hebräisch inzwischen in der 7. Auflage und wird in Kürze auch auf Englisch verfügbar sein unter dem Titel „Wondrous Order -The Table of Plants“. Die deutsche Ausgabe ist im nächsten Jahr zu erwarten. Eine schematische Übersicht mit erklärendem Heft ist bereits auf Deutsch erschienen: „Tabelle der Pflanzensystematik in der Homöopathie“ + Begleitheft. 5. Aufl. Kandern; 2016
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Für mich ist diese Tafel das Bild einer Reise der Liebe. Wir beginnen in Spalte 1 in einem Zustand unbewusster Liebe. Wir sind wie ein Baby im Mutterleib. Wir sind eingetaucht in die Liebe der Schöpfung, sind uns dessen aber auf keine Weise bewusst. Und es gibt einen tiefen Wunsch, uns zu entwickeln, wir wollen diese Liebe erkennen. Dazu müssen wir uns von ihr trennen und Bewusstsein entwickeln, um schließlich zu ihr zurückzukehren und uns wieder mit ihr zu vereinen. Die Einheit enthält von Beginn an alle Qualitäten, aber wir müssen uns ihrer erst bewusst werden. Es ist eine Reise von Liebe zu Liebe, vom Eingetauchtsein in die Liebe hin zu einem Erkennen der Liebe. Auf dieser Reise zu begleiten, ist aus meiner Sicht die Aufgabe der Homöopathie.
Das Interview führte Jörg Wichmann