Z Gastroenterol 2016; 54(10): 1179-1180
DOI: 10.1055/s-0042-117162
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Editorial – IGeL – das spielt bei uns doch keine Rolle

Franz Josef Heil
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Publication Date:
12 October 2016 (online)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„IGel“ – wir doch nicht! In unserer täglichen Arbeit spielen die sogenannten „individuellen Gesundheitsleistungen“ keine große Rolle. Fast keiner von uns stellt in einem nennenswerten Umfang sogenannte IGeL seinen Patienten privat nach der GOÄ in Rechnung. Warum ist das bei uns anders als in anderen Fächern? Ich behaupte: Wir haben es zum Glück nicht nötig. Dabei wäre es aus medizinischen Gründen seit Jahren mehr als überfällig.

Der Leistungskatalog im Kapitel 13.3.3 „Gastroenterologie“ des Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ist mit 24 Nummern, davon nur 14 endoskopischen Leistungen, sehr übersichtlich, präzise gesagt: Er ist lückenhaft und völlig veraltet. Innovationen sucht man im EBM vergeblich. Viele diagnostische und therapeutische Maßnahmen der modernen Gastroenterologie sind dort nicht abgebildet. Wir haben eine Liste von im EBM fehlenden gastroenterologischen Leistungen zusammengestellt, die ambulant bzw. in der Praxis von Gastroenterologen erbracht werden können:

Keine der Leistungen ist überflüssig. Die meisten sind medizinisch nicht nur begründet, sondern Stand der Wissenschaft. Keine dieser Leistungen wird aber im ambulanten Bereich von den gesetzlichen Kassen bezahlt. Wenn sie also ambulant erbracht werden, dann müssten sie eigentlich als IGeL privat den Patienten in Rechnung gestellt werden. Tatsächlich geschieht das aber nur sehr selten.

Was also tun, wenn man als niedergelassener Gastroenterologe solche Leistungen für notwendig hält, sie wegen des Verbotsvorbehaltes im ambulanten Bereich aber nicht selbst erbringen darf? Man wird den Patienten ins Krankenhaus einweisen, denn dort werden innovative Leistungen bezahlt (Stichwort NUB-Vereinbarung zur Vergütung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus). Nach der Krankenhauseinweisungs-Richtlinie des G-BA vom April 2015 ist eine stationäre Krankenhausbehandlung allerdings nur „notwendig, wenn die Weiterbehandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses aus medizinischen Gründen erfolgen muss. Die ambulante Behandlung hat Vorrang vor der stationären Behandlung, wenn das Behandlungsziel zweckmäßig und ohne Nachteil für die Patientin oder den Patienten mit den Mitteln der ambulanten Versorgung … erreicht werden kann“. Weiter wird ausgeführt: „Die Verordnung stationärer Krankenhausbehandlung kommt allein aus medizinischen Gründen in Betracht.“ Nach der Richtlinie muss also zwingend eine medizinische Begründung für eine stationäre Behandlung bestehen, so wird an mehreren Stellen ausdrücklich betont. Von abrechnungstechnischen Gründen oder Lücken im EBM steht hier nichts.

Man kann es nach den geltenden Bestimmungen also nicht richtig machen: Eine stationäre Einweisung ist medizinisch oft nicht erforderlich. Im EBM sind die Leistungen nicht enthalten. Als IGeL sind die meisten Leistungen viel zur aufwendig und dem Patienten kaum zumutbar. Außerdem werden IGeL von Kassen und Politik systematisch diskriminiert. So kann man im Entwurf des SPD-Wahlprogramms 2017 nachlesen: „Die Flut kostenpflichtiger, medizinisch aber oft überflüssiger IGeL-Leistungen wollen wir eindämmen. In den Praxen müssen vereinheitlichte Informationen ausgehängt werden, warum IGeL-Leistungen nicht von den Krankenkassen bezahlt werden, weil z. B. der medizinische Sinn zweifelhaft ist. Ohne einen schriftlichen Behandlungsvertrag und verbindliche schriftliche Informationen zu Nutzen und Risiken der jeweiligen IGeL-Leistung {„Produktformationsblatt) darf eine Zahlungspflicht des Patienten gar nicht erst entstehen. Um das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht zu belasten, sind Behandlungen nach dem GKV-Katalog und IGeL-Leistungen klar voneinander zu trennen.“

In diesem Dilemma entscheiden viele von uns, eine medizinisch sinnvolle und notwendige Leistung zu erbringen, auch wenn es keine Abrechnungsmöglichkeit im EBM gibt: Die EMR wird als Polypektomie abgerechnet, Blutstillungen, Ballondilatationen, Chromoendoskopien, KM-Sonografien, Fibroscan werden gar nicht als Leistung neben der Endoskopie und Sonografie in Rechnung gestellt.

Würden wir korrekt abrechnen, dann müssten wir also eigentlich, wenn wir in unseren Praxen eine moderne Gastroenterologie anbieten wollen, jede Menge IGeL anbieten. Wir tun es aber nicht, im Interesse unserer Patienten, obwohl unser Verhalten etwas von Selbstausbeutung hat und sich die Kassen vermutlich ins Fäustchen lachen.

Das entscheidende Problem ist, dass Innovationen aus finanziellen Gründen nicht oder nur extrem verzögert in das Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen werden, Ärzte und Patienten aber mit Recht nicht jahrelang auf entsprechende Entscheidungen der Kassen warten können und dürfen. Immerhin kann der Verzicht auf neue Untersuchungen und Behandlungen ein medizinischer Behandlungsfehler sein, wie der BGH bereits vor Jahren festgestellt hat.

Drei typische, alltägliche Beispiele für die Problematik im Umgang mit medizinisch sinnvollen IGeL:

  1. Der immunulogische Stuhltest wird seit Jahren gefordert, wurde von vielen Hauärzten, Urologen und Gynäkologen medizinisch korrekt als IGeL in die Darmkrebsrebsvorsorge eingeführt und ist bereits vom G-BA positiv bewertet worden. Er bleibt aber mindestens bis April 2017 keine Kassenleistung. Soll und darf man ihn weiterhin den Patienten vorenthalten? Muss man den Patienten darüber aufklären, wenn man noch den schlechteren Guajak-basierten FOBT durchführt, obwohl er nicht mehr den Regeln der ärztlichen Kunst entspricht?

  2. Die Abtragung von großen, flachen Adenomen mittels EMR ist ambulant ohne Zweifel möglich, aber für 25 Euro (EBM 13 521) keinesfalls kostendeckend zu machen. Muss man den Patienten darüber aufklären, dass aus finanziellen, aber nicht aus medizinischen Gründen eine aufwendige Mukosaresektion nicht in gleicher Sitzung während der ersten Endoskopie erfolgen kann, sondern eine zweite Koloskopie unter stationären Bedingungen erfolgen muss, obwohl man dem Patienten nicht nur die Belastung, sondern auch das Risiko einer zweiten Koloskopie zumutet?

  3. Ballondilatationen von Crohn-bedingten Stenosen oder Anastomosenstenosen sind etabliert und leitliniengerecht (z. B. S3-Leitlinie „ Diagnostik und Therapie des Morbus Crohn 2014“). Sie sind ohne besonderes Risiko ambulant durchführbar und werden von vielen Gastroenterologen auch gemacht. Inzwischen verweigern Techniker Krankenkasse und DAK aus formalen Gründen – im EBM gibt es die Leistung Dilatation nicht – sogar die Kostenübernahme für die Dilatationsinstrumente, obwohl sie wissen, dass die dann erforderliche stationäre Behandlung um ein Vielfaches teurer ist. Alternativ müsse die Dilatation als IGeL dem Patienten in Rechnung gestellt werden.

Im sogenannten „IGeL-Monitor“ der Krankenkassen wird übrigens interessanterweise keine einzige der von uns gelisteten IGeL-Leistungen erwähnt oder bewertet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Wir Ärzte, die Krankenkassen, die KBV, die Politik – alle wissen, dass der EBM veraltet ist. Eine Lösung ist nicht in Sicht. Selbst die schon lange angekündigte EBM-Reform steht unter dem Diktat der Kostenneutralität. In dieser lähmenden Patt-Situation würde ich mir einen differenzierteren Umgang mit dem Angebot leitlinienkonformer medizinischer Leistungen wünschen, die ihren Weg noch nicht in den ambulanten Leistungsbereich der GKV gefunden haben. Statt mit dem Finger auf die Ärzte zu zeigen, sollten die Verantwortlichen in KBV, GKV, GBA und Politik lieber die Voraussetzungen, dafür schaffen, dass Innovationen unbürokratisch und zeitnah in der ambulanten Versorgung zur Verfügung gestellt werden. Die NUB-Vereinbarung könnte hier ein Vorbild sein.

Prozedur

Indikation, z. T. in Leitlinien gefordert

Anmerkung

Dünndarmkapselendoskopie

M. Crohn, Tumore, HNPCC u.a. fam. Syndrome

im EBM nur zur Abklärung von Blutungen

iFOBT

Vorsorge

Aufnahme in EBM geplant zum 01.04.2017

CO2-Insufflation bei der Koloskopie

Koloskopie

Chromoendoskopie

Koloskopie bei CED und Polypen

auch Sachkosten werden nicht erstattet

Aufsetzen von Endoclips und OTC-Clips

Endoskopie bei/mit Blutungen

im stationären Bereich vergütet

Blutstillung mit Hämospray

Endoskopie bei/mit Blutungen

im stationären Bereich vergütet

Endomukosale Resektion (EMR) von Polypen und Tumoren

Endoskopie mit Tumor-/Polypektomie

im stationären Bereich vergütet

Endoskopische Subumucosa-Dissektion (ESD) von Polypen und Tumoren

Endoskopie mit Tumor-/Polypektomie

im stationären Bereich vergütet

Endoskopische Ballondilatation in Magen und Darm

Stenosen in Magen und Darm

im stationären Bereich vergütet

Endoskopisches Einsetzen eines Stents im Magen-Darmtrakt

Stenosen in Magen und Darm

im stationären Bereich vergütet

Radiofrequenzablation von Barrett-Mucosa

Barrett-Metaplasie mit Dysplasie

im stationären Bereich vergütet

Doppelballon-Enteroskopie von oral und anal

Dünndarmdiagnostik

im stationären Bereich vergütet

Kontrastmittel-Sonografie

Tumoren in Leber, Pankreas etc.

im stationären Bereich vergütet

Fibroscan der Leber

chron. Leberkrankheit, Fibrose, Zirrhose

im stationären Bereich vergütet

Endosonografie des Magen-Darmtraktes

Tumor-Staging

im stationären Bereich vergütet

Impfungen außerhalb des Standard-Impfkalenders

Immunsuppression

Abrechenbarkeit nicht sicher, viele Rückfragen etc.


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