Z Geburtshilfe Neonatol 2016; 220(05): 221-222
DOI: 10.1055/s-0042-117502
Gastkommentar
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Gastkommentar zu „Ambulantes Management bei vorzeitigem Blasensprung am Termin. Eine Outcome-Analysestudie bei ambulantem vs. stationärem Management“ und „Vorzeitiger spontaner Blasensprung am Termin: Hospitalisation oder ambulantes Management? Eine Erhebung in Deutschschweizer Geburtsinstitutionen.“

H. Maul
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
20. Oktober 2016 (online)

Es ist durch randomisiert kontrollierte Studien vergleichsweise sicher belegt, dass bei Blasensprung in Terminnähe die Geburtseinleitung erfolgen sollte. Der Cochrane-Review aus dem Jahr 2006 [1], bei dem 12 randomisiert kontrollierte Studien berücksichtigt wurden, kam zu dem Ergebnis, dass die Geburtseinleitung im Vergleich zu abwartendem Vorgehen Vorteile für Mutter und Kind hat, und zwar weniger mütterliche Infektionen (Chorioamnionitis 6,8 vs. 9,8%, relatives Risiko (RR) 0,74, 95%-Konfidenzintervall (CI) 0,56–0,97; Endometritis 2,3 vs. 8,3%, RR 0,30, 95%-CI 0,12–0,74) und eine geringere Zahl an Aufnahmen der Kinder auf die neonatologische Intensivstation (12,6 vs. 17,0%, RR 0,73, 95%-CI 0,58–0,91), wobei allerdings keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf kindliche Infektionen nachgewiesen wurden (2,3 vs. 2,9%, RR 0,83, 95%-CI 0,61–1,12). Die Geburtseinleitung führt nachweislich nicht zu einer Steigerung der Kaiserschnittrate, auch nicht bei Schwangeren mit unreifem Muttermundsbefund (RR 0,97, 95%-CI 0,69–1,37).

Die von Fankhauser erwähnte kontroverse Diskussion über den idealen Zeitpunkt der Einleitung, also den Beginn des aktiven Managements, wird unter anderem dadurch hervorgerufen, dass die „number needed to treat“ (NNT) relativ hoch ist, d. h. bspw., dass zur Vermeidung einer einzigen Chorioamnionitis 50 Frauen eingeleitet werden müssen. Weitere von den Autoren selbst benannte Schwächen des Cochrane-Reviews kommen dadurch zustande, dass einerseits das Ergebnis durch eine Studie mit über 5 000 eingeschlossenen Schwangeren dominiert wurde [2] und dass andererseits die Streubreite der Therapieregime groß war (aktives Management: Einleitung innerhalb von 2–12 Stunden vs. abwartendes Management: Einleitung innerhalb von 24–96 Stunden) [3]. Nicht umsonst empfahlen die Autoren des Cochrane-Reviews von sich aus, aufgrund der relativ geringen Unterschiede individualisierte Vorgehensweisen in der Betreuung von Schwangeren mit Blasensprung in Terminnähe nicht unberücksichtigt zu lassen.

Es ist daher also verständlich, dass vor diesem Hintergrund auch im deutschsprachigen Raum individualisierte, auf die persönlichen Bedürfnisse der Schwangeren abgestimmte Vorgehensweisen überlegt werden und dass nicht nur über den Zeitpunkt der Geburtseinleitung im klinischen Setting nachgedacht wird, sondern eben auch über die Möglichkeit der ambulanten Betreuung bis zum Beginn einer Geburtseinleitung. Allerdings ist es bei den relativ geringen Unterschieden in Metaanalysen prospektiv randomisierter Studien auch nicht verwunderlich, dass in einer retrospektiven Analyse wie der von Vetter et al. (202 stationär vs. 37 ambulant) keinerlei Unterschiede bezüglich maternaler und fetaler Ergebnisse gefunden wurden. Vetter et al. beklagen zwar, dass die in den Cochrane-Review zum ambulanten vs. stationären Management von Blasensprüngen vor der abgeschlossenen 37. SSW von Abou el Senoun [4] eingeschlossenen prospektiv randomisierten Studien keine ausreichende Power hätten und zu klein waren, sie selber liefern aber keine aussagekräftigeren, sondern schwächere, weil retrospektiv erhobene Daten. Es ist zu hoffen, dass Vetter et al. ihre bisherigen Studienergebnisse zur Konzeption einer großen, multizentrischen, randomisiert kontrollierten Studie nutzen.

Dies heißt natürlich nicht, dass man bis zum Beweis des Gegenteils nicht individualisiert und nach eingehender Aufklärung über die möglichen Risiken vom derzeit international in den meisten Industrieländern praktizierten Standard abweichen kann. Standards werden praktiziert und im Idealfall von einer Mehrheit akzeptiert, sie müssen in ihrer Wirksamkeit nicht bewiesen sein.

Wie Fankhauser et al. darstellen, bietet bereits heute mehr als die Hälfte der auf einen Fragebogen antwortenden Kliniken und Geburtshäuser in der Deutschschweiz ein ambulantes Vorgehen bei vorzeitigem Blasensprung in Terminnähe an. Selbst wenn man berücksichtigt, dass vielleicht gerade diejenigen auf den Fragebogen geantwortet haben, die das ambulante Vorgehen ermöglichen, bieten dies demnach doch zumindest 25% aller Geburtshilfe leistenden Institutionen an. Die überwiegende Mehrzahl verfügt über eine mehr als 5-jährige Erfahrung damit.

Allerdings geht aus den Daten der Befragung auch hervor, dass zum einen von fast allen die Erfüllung günstiger Voraussetzungen für ein ambulantes Vorgehen gefordert wird, dass z. B. von allen zumindest einmal in 24 Stunden eine Kontrolle durchgeführt wird, dass aber letztlich die Einleitung nach mehr als 48 Stunden auch bei ambulantem Vorgehen die absolute Ausnahme bleibt (92% leiten innerhalb von max. 48 Stunden die Geburt ein). Insofern ist der Unterschied zum bisher üblichen Standardvorgehen im klinischen Setting nicht wirklich groß, vielmehr handelt es sich um eine allenfalls vorsichtige Ausweitung des bereits heute in der klinischen Geburtshilfe praktizierten individualisierten Vorgehens, keinesfalls um eine Revolution.

Für kritikwürdig halte ich die in den Tabellen 3 und 4 publizierten Daten. Natürlich sind Schwangere zufrieden, wenn sie zum einen nicht zur Gruppe der Risikoschwangeren gehören und somit die Möglichkeit zu einem individualisierten Vorgehen erhalten bleibt. Ob sich die Zufriedenheit unterscheiden würde, wenn die gleichen Frauen unter stationären Bedingungen versorgt werden würden, geht aus den Daten leider nicht hervor und ist auch zweifelhaft.

Darüber hinaus sollten sich meines Erachtens Hebammen und Ärzte nicht in Versuchung bringen lassen, sich zum Handlanger ökonomischer Interessen machen zu lassen. Es liegt zwar auch in unserem Aufgabenspektrum, ressourcenorientiert zu denken und auch ressourcenschonend zu handeln [5], es sollte aber nicht zum führenden Argument werden oder die einfache Antwort auf fehlende Ressourcen sein. Auch noch weit geringere Risiken als das Risiko für eine Chorioamnionitis rechtfertigen meines Erachtens vielmehr, dass die für eine Risikoreduktion erforderlichen Ressourcen aufgebracht und zur Verfügung gestellt werden. Wenn nicht für die bestmögliche medizinische Versorgung von jungen Frauen und ihren Kindern, für was denn dann?

 
  • Literatur

  • 1 Dare MR, Middleton P, Crowther CA et al. Planned early birth versus expectant management (waiting) for prelabour rupture of membranes at term (37 weeks or more). Cochrane Database Syst Rev. 2006; CD005302 Review. PubMed PMID: 16437525
  • 2 Hannah ME, Ohlsson A, Farine D et al. Induction of labor compared with expectant management for prelabor rupture of the membranes at term. TERMPROM Study Group. N Engl J Med 1996; 334: 1005-1010
  • 3 Mozurkewich EL, Wolf FM. Premature rupture of membranes at term: a meta-analysis of three management schemes. Obstet Gynecol 1997; 89: 1035-1043
  • 4 Abou El Senoun G, Dowswell T, Mousa HA. Planned home versus hospital care for preterm prelabour rupture of the membranes (PPROM) prior to 37 weeks' gestation. Cochrane Database Syst Rev. 2014; CD008053 DOI: 10.1002/14651858.CD008053.pub3.
  • 5 Gafni A, Goeree R, Myhr TL et al. Induction of labour versus expectant management for prelabour rupture of the membranes at term: an economic evaluation. TERMPROM Study Group. Term Prelabour Rupture of the Membranes. CMAJ 1997; 157: 1519-1525